Dienstag, 9. Juli 2013

"My spirit takes flight because I'm alive"

5.Juli:
Nach den letzten Blogposts wieder mal ein Notizbucheintrag, zumal das hier im Dschungel nicht anders möglich ist. Hier in der Guacamayo Ecolodge im Cuyabeno Wildlife Reserve irgendwo im äußersten Hinterland Ecuadors in der Nähe von Kolumbien und Peru fühlt man sich in frühere Zeiten zurückversetzt. Elektrizität gibt es nur an der Rezeption, unser Zimmer wird spärlich von zwei schnell abbrenennnden Kerzen beleuchtet. Meine erste richtige Backpackererfahrung also! Als wir nach 8 Stunden Busfahrt morgens um 7 Uhr in Lago Agrio ankommen, regnet es so sehr, dass man das Gefühl bekommt, der Bus fahre gerade durch eine Waschanlage. Auf den Straßen stehen zum Teil mehr als 10cm Wasser und die Lufttemperatur ist angenehm lau. Als wir auf dem Flughafen, der eher aussieht wie ein Busbahnhof, auf ein paar weitere Leute warten, die zur gleichen Lodge fahren, tanze ich auf dem Parkplatz im warmen Regen. Nach nur einer Minute sehe ich aus wie frisch geduscht. Als die anderen Leute nach geschlagenen anderthalb Stunden endlich ankommen, heißt es schon wieder Bus fahren: diesmal zwei weitere Stunden zum Boot, das uns in die saftig grüne Tiefe des Regenwaldes bringt. Auf der morgendlichen Busfahrt sehe ich schon eine Menge vom Dschungel, wenn auch immer wieder unterbrochen durch kleine Wohnsiedlungen. Hühner und Kühe laufen uneingezäunt durch die Gärten, üppig blühende Sträucher wuchern hier wie Unkraut. Ich sehe einen Hahn stolz aufgeblasen in Richtung seiner Hennen staksen. So selbstverständlich, so natürlich!
Dabei wird mir urplötzlich etwas bewußt: Eines der größten Probleme der Menschen ist wohl, dass sie sich selbst viel zu wichtig nehmen. Würden wir nicht glauben, dass alle anderen sich ständig über jede Kleinigkeit, die mit uns zu tun hat, eine Meinung bilden, würden wir uns viel weniger verunsichert fühlen und nicht mehr versuchen, uns so wahnsinnig angepasst zu verhalten. Diskussionen, Eifersucht, Kriege - all diese Phänomene sind darauf zurückzuführen, dass wir uns selbst zu wichtig nehmen. Wie ich die Tiere so sorglos dahinleben und die uralten Bäume mit ihren Blättern in der Größe von Regenschirmen in den Himmel ragen sehe, wird mir die Sinnlosigkeit dessen, womit wir Menschen uns so tagein, tagaus befassen, immer mehr bewusst - insbesondere in Bezug auf unser Sozialverhalten.
Was soll das, dass wir uns - am besten ohne Unterbrechung - mit anderen über belanglose Kleinigkeiten wie irgendwelche Fernsehserien unterhalten? Was bringt es uns? Statt mit allen Sinnen zu spüren, dass wir lebendig sind, flüchten wir uns in irgendeine subjektive Welt, in der wir uns nicht einmal sicher fühlen! Es bringt so viel mehr Frieden, sich einfach fallen zu lassen, zu sehen, zu riechen, zu hören, zu schmecken, zu fühlen. Zu genießen.
Als wir mit dem Boot zur Lodge fahren, regnet es in Strömen. Doch anstelle meine Kapuze aufzusetzen, lasse ich die Regentropfen auf meinen Kopf prasseln, meine Haare waschen, mein Gesicht. Es fühlt sich unglaublich gut an! Ich brauche keine Weltwunder, keine Rekorderscheinungen oder ähnliche "Wunder", zu denen so viele Menschen pilgern. Tatsächlich halte ich die ganze Welt für ein Wunder voller bewegender schöner größerer und kleinerer Details. An letzteren rennen jedoch viele von uns, zu beschäftigt mit sozialen Fragen, einfach vorbei, ohne ihnen viel Beachtung zu schenken. Wie schon gesagt - wir nehmen uns einfach zu wichtig!

Die Tage im Dschungel waren Balsam für die Seele. Irgendwie waren wir unserem Ursprung so nahe, einer Zeit ganz ohne Menschen. Einer Welt voller Leben, die sich ständig wandelt. Auf Bootsfahrten und Wanderungen durch den Dschungel (sogar im Dunkeln!) haben wir von Termiten bis zu Babyanakondas alle möglichen Tiere gesehen und noch viel mehr gehört. Vor allem der Moment, in dem wir bei der Nachtwanderung neben giftigen Riesespinnen und anderem gefährlichen Getier alle unsere Taschenlampen ausgeschaltet haben, um einfach nur der Sprache des Waldes zuzuhören, war sehr beeindruckend.
Irgendwie wirkte sich der Dschungel auf uns alle aus. Anstelle der morgendlichen (kalten!) Dusche nahmen wir lieber ein Bad im Fluss oder in der Laguna Grande bei Sonnneuntergang. Bald liefen wir lieber barfuß als in beengenden Schnürstiefeln und der Regen war uns eine willkommene Erfrischung in der tropischen feuchten Hitze.
Ich war geradezu enttäuscht, als ich sah, dass die indigenen Menschen inzwischen westlich gekleidet sind und jedes kleine Dorf über ein Fußballfeld inklusive Tribüne verfügt. Dazu haben sie Strom und moderne Musikanlagen, die wir schon von Weitem durch den Wald schallen hörten. Trotzdem scheinen diese Menschen noch authentischer zu leben als wir in unserer westlichen Welt. Sie haben ihren riesigen Garten Eden voller Nutzpflanzen wie Kaffee oder Yuca, in dem Tiere frei herumlaufen. Gemeinsam mit einer jungen Ecuadorianerin ernteten wir Yuca und machten Brot daraus, das wir (untypischerweise) wahlweise mit Thunfisch oder Ananasmarmelade aßen. Aber es war wirklich lecker!
Nach unserem Kurzurlaub fühlten wir uns so gut erholt, dass uns weder störte, dass die Mäuse im Jungszimmer die Zahnpasta- und die Autanpackung angeknabbert hatten, noch, dass wir auf der Rückfahrt ewig im Stau standen. Letzteres überbrückten wir mit dem Kartenspiel "Shit head", das uns unsere neuen belgischen Freunde beibrachten und damit, uns einander zu erzählen, nach welcher Herkunft wir aussehen. Demnach komme ich aus einem der zentralen Staaten der USA, lebe auf einer riesigen Farm und habe später einmal ganz viele Kinder. Mal sehen, ob Hope bezüglich meiner Zukunft Recht hat. Eigentlich habe ich gesagt, dass ich niemals für immer in die USA ziehen würde. Aber man sollte bekanntlich niemals nie sagen... :-D








































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