5.Juli:
Nach den letzten Blogposts wieder mal ein
Notizbucheintrag, zumal das hier im Dschungel nicht anders möglich ist.
Hier in der Guacamayo Ecolodge im Cuyabeno Wildlife Reserve irgendwo im
äußersten Hinterland Ecuadors in der Nähe von Kolumbien und Peru fühlt
man sich in frühere Zeiten zurückversetzt. Elektrizität gibt es nur an
der Rezeption, unser Zimmer wird spärlich von zwei schnell abbrenennnden
Kerzen beleuchtet. Meine erste richtige Backpackererfahrung also! Als
wir nach 8 Stunden Busfahrt morgens um 7 Uhr in Lago Agrio ankommen,
regnet es so sehr, dass man das Gefühl bekommt, der Bus fahre gerade
durch eine Waschanlage. Auf den Straßen stehen zum Teil mehr als 10cm
Wasser und die Lufttemperatur ist angenehm lau. Als wir auf dem
Flughafen, der eher aussieht wie ein Busbahnhof, auf ein paar weitere
Leute warten, die zur gleichen Lodge fahren, tanze ich auf dem Parkplatz
im warmen Regen. Nach nur einer Minute sehe ich aus wie frisch
geduscht. Als die anderen Leute nach geschlagenen anderthalb Stunden
endlich ankommen, heißt es schon wieder Bus fahren: diesmal zwei weitere
Stunden zum Boot, das uns in die saftig grüne Tiefe des Regenwaldes
bringt. Auf der morgendlichen Busfahrt sehe ich schon eine Menge vom Dschungel, wenn auch immer wieder unterbrochen durch kleine
Wohnsiedlungen. Hühner und Kühe laufen uneingezäunt durch die Gärten,
üppig blühende Sträucher wuchern hier wie Unkraut. Ich sehe einen Hahn
stolz aufgeblasen in Richtung seiner Hennen staksen. So
selbstverständlich, so natürlich!
Dabei wird mir
urplötzlich etwas bewußt: Eines der größten Probleme der Menschen ist
wohl, dass sie sich selbst viel zu wichtig nehmen. Würden wir nicht
glauben, dass alle anderen sich ständig über jede Kleinigkeit, die mit
uns zu tun hat, eine Meinung bilden, würden wir uns viel weniger
verunsichert fühlen und nicht mehr versuchen, uns so wahnsinnig angepasst
zu verhalten. Diskussionen, Eifersucht, Kriege - all diese Phänomene sind
darauf zurückzuführen, dass wir uns selbst zu wichtig nehmen. Wie ich
die Tiere so sorglos dahinleben und die uralten Bäume mit ihren
Blättern in der Größe von Regenschirmen in den Himmel ragen sehe, wird
mir die Sinnlosigkeit dessen, womit wir Menschen uns so tagein, tagaus
befassen, immer mehr bewusst - insbesondere in Bezug auf unser
Sozialverhalten.
Was soll das, dass wir uns - am besten ohne
Unterbrechung - mit anderen über belanglose Kleinigkeiten wie
irgendwelche Fernsehserien unterhalten? Was bringt es uns? Statt mit
allen Sinnen zu spüren, dass wir lebendig sind, flüchten wir uns in
irgendeine subjektive Welt, in der wir uns nicht einmal sicher fühlen!
Es bringt so viel mehr Frieden, sich einfach fallen zu lassen, zu sehen,
zu riechen, zu hören, zu schmecken, zu fühlen. Zu genießen.
Als
wir mit dem Boot zur Lodge fahren, regnet es in Strömen. Doch anstelle
meine Kapuze aufzusetzen, lasse ich die Regentropfen auf meinen Kopf
prasseln, meine Haare waschen, mein Gesicht. Es fühlt sich unglaublich
gut an! Ich brauche keine Weltwunder, keine Rekorderscheinungen oder
ähnliche "Wunder", zu denen so viele Menschen pilgern. Tatsächlich halte
ich die ganze Welt für ein Wunder voller bewegender schöner größerer
und kleinerer Details. An letzteren rennen jedoch viele von uns, zu
beschäftigt mit sozialen Fragen, einfach vorbei, ohne ihnen viel Beachtung zu
schenken. Wie schon gesagt - wir nehmen uns einfach zu wichtig!
Die
Tage im Dschungel waren Balsam für die Seele. Irgendwie waren wir
unserem Ursprung so nahe, einer Zeit ganz ohne Menschen. Einer Welt
voller Leben, die sich ständig wandelt. Auf Bootsfahrten und Wanderungen
durch den Dschungel (sogar im Dunkeln!) haben wir von Termiten bis zu
Babyanakondas alle möglichen Tiere gesehen und noch viel mehr gehört.
Vor allem der Moment, in dem wir bei der Nachtwanderung neben giftigen
Riesespinnen und anderem gefährlichen Getier alle unsere Taschenlampen
ausgeschaltet haben, um einfach nur der Sprache des Waldes zuzuhören,
war sehr beeindruckend.
Irgendwie wirkte sich der Dschungel
auf uns alle aus. Anstelle der morgendlichen (kalten!) Dusche nahmen wir
lieber ein Bad im Fluss oder in der Laguna Grande bei Sonnneuntergang.
Bald liefen wir lieber barfuß als in beengenden Schnürstiefeln und der Regen war uns eine willkommene Erfrischung in der tropischen feuchten
Hitze.
Ich war geradezu enttäuscht, als ich sah, dass die
indigenen Menschen inzwischen westlich gekleidet sind und jedes kleine
Dorf über ein Fußballfeld inklusive Tribüne verfügt. Dazu haben sie
Strom und moderne Musikanlagen, die wir schon von Weitem durch den Wald
schallen hörten. Trotzdem scheinen diese Menschen noch authentischer zu
leben als wir in unserer westlichen Welt. Sie haben ihren riesigen
Garten Eden voller Nutzpflanzen wie Kaffee oder Yuca, in dem Tiere frei
herumlaufen. Gemeinsam mit einer jungen Ecuadorianerin ernteten wir
Yuca und machten Brot daraus, das wir (untypischerweise) wahlweise mit Thunfisch oder Ananasmarmelade aßen. Aber es war wirklich lecker!
Nach
unserem Kurzurlaub fühlten wir uns so gut erholt, dass uns weder
störte, dass die Mäuse im Jungszimmer die Zahnpasta- und die Autanpackung
angeknabbert hatten, noch, dass wir auf der Rückfahrt ewig im Stau
standen. Letzteres überbrückten wir mit dem Kartenspiel "Shit head", das
uns unsere neuen belgischen Freunde beibrachten und damit, uns einander
zu erzählen, nach welcher Herkunft wir aussehen. Demnach komme ich aus
einem der zentralen Staaten der USA, lebe auf einer riesigen Farm und
habe später einmal ganz viele Kinder. Mal sehen, ob Hope bezüglich
meiner Zukunft Recht hat. Eigentlich habe ich gesagt, dass ich niemals
für immer in die USA ziehen würde. Aber man sollte bekanntlich niemals
nie sagen... :-D
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