Freitag, 12. Juli 2013

„Das Leben ist schwer - ein Grund mehr, es auf die leichte Schulter zu nehmen.“ - Emil Gött

Nachdem ich gestern Nachmittag einen halben Nervenzusammenbruch genommen habe, weil ich aus Versehen meinen Dschungel-Post gelöscht habe und nicht wiederherstellen konnte (was sagt uns das? - Tagebücher sind besser als Smartphones), komme ich endlich dazu, etwas Neues aus Quito zu schreiben.
Dienstagmorgen, 7:20 Uhr. Ich stehe an meiner Bushaltestelle, die lediglich durch die Straßenkreuzung als solche gekennzeichnet wird, und warte auf meinen Bus des Typs Paquisha, der nach Machala, also in den Norden Quitos, fährt. Feste Busfahrpläne gibt es hier nicht, bestimmte Busse kommen einfach im Minutentakt vorbei, andere lassen auf sich warten. Ob gerade der richtige Bus kommt erkennt man an diversen Aufklebern an der Windschutzscheibe (oben groß und breit der Typ des Busses und unten links in der Ecke diverse Fahrtziele, sodass im Prinzip fast die gesamte Scheibe zugeklebt ist). Heute habe ich Pech: Es kommen zwei Busse des Tipo San Carlos und viiiiiiiiiiiiieele des Tipo Catar, nach einer Viertelstunde kreuzt lediglich eine andere Deutsche auf, die auch im Krankenhaus arbeitet, nicht aber der richtige Bus. Johanna und ich warten eine weitere Viertelstunde, bis sich endlich zwei Paquisha-Busse der Haltestelle annähernd.... und trotz unseres Winkens vorbeifahren! Dann erzählt mir Johanna, dass ich theoretisch jeden Bus nach Machala nehmen könnte - auch die San Carlos Busse. Toll. Wir stehen noch fast eine halbe Stunde, bis endlich ein Bus auftaucht, in den wir einsteigen. Ich sitze auf glühenden Kohlen, weil ich auf keinen Fall an meinem ersten Arbeitstag zu spät kommen möchte, was sich jetzt aber nicht mehr vermeiden lässt.
Letztendlich komme ich eine Viertelstunde zu spät im Büro der Supervision an, was augenscheinlich aber niemanden dort kümmert. Ich trage mich in die Anwesenheitsliste ein und werde dann zu meiner Station gebracht, der Medicina Interna Mujeres. Wie der Name schon sagt, gibt es tatsächlich zwei Stationen für Innere Medizin: Eine für weibliche und eine für männliche Patienten. Meine Station hat 25 Betten, die i.d.R. alle belegt sind. An meinem ersten Arbeitstag werde ich von Sandra, einer der Krankenschwestern, an die Hand genommen, um meine zukünftigen Aufgaben zu lernen: Betten neu beziehen, Tische putzen, Patientinnen zur Toilette und zurück bringen und Wattetupfer rollen. Besonders letzteres klingt nicht sonderlich spannend; an meinem zweiten Arbeitstag durfte ich mich geschlagene vier Stunden damit beschäftigen, diese Wattebällchen mithilfe von Holzstäbchen zu formen, bis mir die Finger wehtaten. Im Radio lief dabei permanent ein Religionssender mit entsprechender Musik und Segenswünschen, was meiner Aufgabe einen geradezu meditativen Touch gab. Ich tröstete mich damit, dass die Krankenschwestern, die normalerweise die Tupfer herstellen, jetzt mehr Zeit für die wichtigeren Aufgaben haben und ich daher schon eine Hilfe bin, auch wenn ich mir nicht so vorkomme. Nichtsdestotrotz sind mir die patientennahen Aufgaben lieber. Selbst das Putzen macht mehr Spaß, weil ich ständig von neugierigen Patienten angesprochen werde, wo ich denn herkomme und was ich hier so mache. Zwei meiner Patientinnen - Elsa und Liliana (s. Foto) - habe ich so sehr ins Herz geschlossen, dass wir heute e-Mail-Adressen und Telefonnummern ausgetauscht haben. Die Arbeit wird von Tag zu Tag besser, weil ich zum Einen besser verstehe, was die Krankenschwestern und Patienten von mir wollen (Englisch spricht hier eigentlich niemand) und weil man mir inzwischen schon verantwortungsvollere Aufgaben wie Fieber messen überträgt.  Zudem lerne ich langsam, mich nicht mehr typisch Deutsch darüber aufzuregen, wenn ich mal dank der verrückten Busse 10 Minuten zu spät bin, sondern entspanne mich so wie die Ecuadorianer. Das beste Beispiel für die hiesige Mentalität ist wohl die Emergencia, in der eine andere Freiwillige arbeitet: Während eine Reihe von Notfallpatienten darauf warten, aufgenommen zu werden, ist der zuständige Arzt die letzten beiden Tage erstmal mit Adina und einem großen Teller in die Eisdiele neben gegangen, um dem Team eine Stärkung zu bringen. Als die beiden mit dem Berg Eiscreme wieder an den wartenden Patienten vorbeiliefen sagte er heute witzelnd: "Und? Wer bietet mehr?"
Was makaber klingen mag, ist hier ein Stück weit Mentalität. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass es einem das Leben einfacher macht, selbst die schlimmsten Situationen mit Humor zu tragen. Obwohl ich heute ganztags gearbeitet habe (normalerweise kann ich mittags nach Hause), verging die Zeit also wie im Flug und ich freue mich jetzt schon auf Montag. Es ist einfach wahnsinnig schön zu sehen, wie sich die Patientinnen freuen, wenn man ihnen bei den Dingen hilft, die sie nicht mehr alleine können, obgleich ich fast nie verstehe, was sie mir sagen, weil die meisten von ihnen kaum noch Zähne haben.
Auf dem Heimweg sitze ich i.d.R doppelt so lange im Bus wie morgens, da ständig Fahrgäste, Straßenmusikanten und fliegende Händler zusteigen (ganz gleich ob an "Haltestellen" oder nicht!). Letztere preisen so überzeugend Stifte, Kochzeitschriften, Süßigkeiten oder anderen Kram, den man eigentlich nicht braucht, an, dass sich immer eine Menge Käufer finden. Wenigstens brausen die Busfahrer dann aber nicht über schon längst rote Ampeln oder überholen halsbrecherisch auf der falschen Seite, was morgens Gang und Gebe ist... Andere Länder, andere Sitten! 



Einfahrt des Hospital Pablo Arturo Suarez

Elsa, Lili und ich

Quito at night 1

Quito at night 2

Quito at night 3

Quito at night 4

Quito at night 5

Quito at night 6

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