Donnerstag, 18. Juli 2013

"Reisen ist tödlich für Vorurteile." - Mark Twain

Um unserer trauernden Gastfamilie ein bisschen mehr Privatsphäre zu lassen, beschließen Gabe, Alex, Stine und ich am Montag so viel Zeit wie möglich außer Haus zu verbringen. Ich bringe lediglich ein Blumengesteck als Zeichen unserer Anteilnahme nach Hause und nehme Rocío in den Arm, die sehr mitgenommen aussieht. Dann gehen wir im Mariscal in ein mexikanisches Restaurant essen. Eigentlich wäre ich viel lieber ecuadorianisch essen gegangen, habe aber wahnsinnig Hunger, sodass ich mich mit der überteuerten Touriabspeise begnüge. Nach einer Riesenportion Burritos und einem Erdbeer-Margarita falle ich schließlich ein wenig benommen in mein Bett.
Leider wird es keine ruhige Nacht. Ab halb 1 Uhr laufe ich im 30-Minuten-Takt zur Toilette, fühle mich auf einmal so wahnsinnig krank. Je länger ich wach bleibe desto schlimmer wird es. Die Medikamente, die ich nehme, helfen kein bisschen. Ich fühle mich meinem Ende nahe, obwohl ich weiß, dass es so schlimm bestimmt nicht ist. Erst als ich mich übergeben muss, wird es ein kleines bisschen besser. Bis morgens um sechs bekomme ich kein Auge zu, weiß nicht, was ich tun soll. Mein Mund fühlt sich so trocken an und ich würde gerne Tee trinken, suche aber vergeblich nach Streichhölzern für den Herd. Als ich einen Schluck Wasser trinke, muss ich mich sofort wieder übergeben. Dazu erschrecke ich ordentlich, als ich sehe, dass ich 39 Grad Fieber habe. Morgens um sechs rufe ich Mama bei Skype an, obwohl es mir eigentlich peinlich ist, dass ich mit meinen gesundheitlichen Problemen hier nicht allein zurecht komme. Sie empfiehlt mir, keine weiteren Medikamente einzunehmen - schließlich muss raus, was raus muss - sondern stattdessen einen der Jungs aufzuwecken, was ich dann auch mache. Gabe kocht mir einen Kamillentee und bald darauf schaut auch Rocío nach mir und bereitet ein typisches Hausmittel gegen Verdauungsstörungen zu: Oreganotee mit ein bisschen Zucker.
Nachdem ich diesen Wundertrank literweise aus Biergläsern getrunken habe, geht es mir abends schon viel besser. Als meine Mitbewohner nach Hause kommen, erfahre ich, dass es Stine ähnlich geht, auch wenn es sie nicht ganz so hart erwischt hat. Somit wird uns auch die Ursache des Dilemmas klar: das Eis in unseren Getränken beim Touri-Mexikaner - im teuersten Restaurant, in dem ich in Ecuador gegessen habe! Das ist mal wieder typisch! Ich habe regelmäßig Mittagessen für einen Dollar an Garküchen gekauft und obwohl mir die Organisation davon abgeraten hat, habe ich nie irgendwelche Probleme damit gehabt. Und jetzt wird mir die blöde Touriabspeise zum Verhängnis! Da sieht man wieder mal, wie weit uns solche Vorurteile bringen. Schließlich bleiben die Ecuadorianer dort, wo sie essen, i.d.R. auch gesund und ich hatte schon drei Wochen Zeit, mich an die hiesigen Gewürze zu gewöhnen.
Ich tröste mich damit, dass ich jetzt zwei Tage Zeit habe, meine Reiseplanung ein wenig ausführlicher auszuarbeiten und mich mal von all den neuen Eindrücken auszuruhen. Mittwochabend habe ich bereits wieder Appetit, wenn auch nur auf Pizza (ich frage mich, ob das an dem ganzen Oreganotee liegt ;-) ). Ich laufe zur Pizzeria um die Ecke, in der die Pizza fast so lecker schmeckt wie in Italien. Es herrscht eine ganz besondere Stimmung, als ich in der Abenddämmerung durch die Straßen laufe. Garküchen pusten im bläulichen Licht mystisch wirkende Rauchschwaden in den Himmel und als es dunkel wird, zieht eine Gruppe musizierener und tanzender Hippies an unserem Haus vorbei. Ich atme den  Grillgeruch ein, lausche dem fremdartigen Trommeln. Wie von Zauberhand fühle ich mich plötzlich stärker und verspeise mit Appetit mehr als eine halbe Pizza. Häufig ist es wohl die beste Therapie, ein bisschen mehr Acht auf die eigenen Bedürfnisse zu geben, als wir es in unserer Workaholic-Gesellschaft gewöhnt sind.

Plaza Foch im Mariscal

Garküchen bei uns um die Ecke

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