Dienstag, 2. Juli 2013

Das Leben ist eine Nullsumme!

Wer nach meinen Schilderungen der letzten Tage glaubt, ich sei ab sofort immer nur glücklich, der hat sich gewaltig geirrt. Gerade heute wurde mir in schmerzlicher Weise (tatsächlich sogar in Form von Kopf- und Bauchschmerzen) wieder bewusst, dass ich nicht einfach von einem Tag auf den anderen eine ganz Andere sein kann. Emotionale Menschen können nicht plötzlich kaltherzig sein. Introvertierte Menschen können sich nicht plötzlich in den Mittelpunkt einer Gruppe spielen. Und nachdenkliche Menschen können nicht plötzlich aufhören zu denken. Natürlich nur, sofern man nicht unter Drogeneinfluss oder sonstigen Hirnschäden leidet. Und warum sollte es auch anders sein? Welchen Nutzen würden wir daraus ziehen? Normalerweise haben all unsere Charaktereigenschaften doch eine Daseinsberechtigung; nein, vielmehr wäre diese Welt eine andere, wenn wir anders wären.
Jeder halbwegs erwachsene Mensch sieht eine Art Sinn in seinem Leben, selbst wenn das vielen von uns nicht bewusst sein mag (andernfalls wäre uns unser Leben schließlich gleichgültig). Und unser persönlicher Sinn - unsere Lebenseinstellung - und unsere Charaktereigenschaften beeinflussen einander. Sofern unsere Lebenseinstellung z.B. in Richtung "Carpe diem" (bzw. YOLO) geht, prägen sich extrovertierte und genießerische Charakterzüge weiter aus als die melancholischen und philosophischen, die meist miteinander einhergehen. Geht unsere Lebenseinstellung eher in die Richtung "Der wahre Beruf des Menschen ist, zu sich selbst zu kommen.", so muss sich zwangsläufig unsere denkende, aber auch unsere emotionale Seite weiter ausprägen. Das Problem, das letztere Menschen meistens haben, ist, dass sie durch ihr ständiges Denken beginnen zu zweifeln. Zweifel ist auch gut, keine Frage. Ohne Zweifel würden wir heute noch glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Aber zu zweifeln veranlasst uns auch dazu, unseren eigenen Charakter zu hinterfragen. Sind wir richtig so, wie wir sind? Wie finden uns andere? Sollten wir uns nicht lieber an die anderen anpassen,  damit sie uns mögen?
Viele von uns zernagen diese Zweifel so sehr, dass wir versuchen, zu "Carpe diem"-Menschen zu werden. Wir versuchen, uns mit Alkohol und Drogen zu betäuben, um einfach endlich grenzenlose Euphorie spüren zu können. Wir glauben wirklich, dass es uns glücklicher machen würde, nicht denken zu müssen. Aber warum sollte es? Wie können wir bitteschön Glück empfinden, wenn wir kein Unglück kennen? Ist die Art von Befriedigung, die wir bei übermäßigem Alkoholkonsum spüren auch nur annähernd so gut wie wahres Glück? Und wenn uns das "Carpe diem"-Motto wirklich glücklich macht, haben wir es dann überhaupt nötig uns zu betrinken? Wahrscheinlich wäre ich letzten Donnerstag beim Tanzen genauso locker gewesen, wenn ich keinen Caipi getrunken hätte. Ich war einfach so glücklich. Heute dagegen haben die beiden Cocktails, die ich getrunken habe, meine Laune nur verschlechtert und ich habe noch mehr gezweifelt als ohnehin schon.
Letztendlich ist das Leben eine Nullsumme aus glücklichen und unglücklichen Zeiten, ganz gleich, ob wir reich sind oder arm, nachdenklich oder nicht, extrovertiert oder introvertiert. Warum sollten wir uns also verbiegen? 

Ich glaube, ich war heute unglücklich,  weil mir klar geworden ist, dass viele der jungen Menschen, die ich hier kennen und schätzen gelernt habe, versuchen "Carpe diem"-Menschen zu sein. Egal, welche Nationalität sie haben, irgendwie sind sie alle ähnlich unsicher. Ich hatte wirklich gehofft, hier Menschen zu treffen, die in einer anderen emotionalen Situation sind als die meisten Deutschen meiner Generation. Schließlich reise ich in erster Linie, um mich persönlich weiterzuentwickeln durch das, was ich von anderen Kulturen lerne. Dass die Jugend offensichtlich weltweit ein Smalltalk plaudernder, trendabhängiger Einheitsbrei geworden ist (ich schätze, das liegt an der Globalisierung), erschüttert mich daher sehr. Warum nur? Warum?
Ich glaube, die nächsten Tage werde ich mal wieder mehr Zeit mit Ecuadorianern verbringen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen