"Ob eine Sache gelingt, erfährst du nicht, wenn du darüber nachdenkst, sondern wenn du sie ausprobierst!" Um zwischen Abitur und Studium noch mal etwas ganz Anderes zu machen, habe ich beschlossen, drei Monate lang allein ans andere Ende der Welt zu reisen. Durch diesen Blog möchte ich euch ermöglichen, mein Abenteuer von der Reiseplanung über ein ereignisreiches Praktikum in einem öffentlichen Krankenhaus in Quito bis hin zu meiner Backpacking-Premiere durch Ecuador und Perú zu verfolgen.
Dienstag, 26. November 2013
Neu: Erläuterungen zu den FARC!
Sicher wundert ihr euch, dass ich schon wieder ein bisschen gebraucht habe, um weiterzuschreiben. Das liegt daran, dass ich meinen Vortrag für ein Seminar von der Studienstiftung dieses Wochenende vorbereitet habe - über ein Thema, das mit meiner Reise zusammenhängt: Die Rolle der FARC im bewaffneten Konflikt Kolumbiens. Mein Skript habe ich auch im Blog veröffentlicht. Bei Interesse findet ihr es hier :-)
Cuenca
24. August
Nach einer weiteren, diesmal unfreiwilligen Übernachtung in
Baños geht es heute weiter nach Cuenca. Unfreiwillig deshalb, weil wir
eigentlich schon gestern in der Stadt mit den schönsten Kolonialbauten Ecuadors
ankommen wollten. Blöderweise gibt es aber keine vernünftige Busverbindung
zwischen Tena und Cuenca. Also haben wir heute Morgen nochmal Brombeersaft und
Miniempanadas an unseren Lieblingsständen in der Markthalle von Baños gekauft
und uns damit für die achtstündige Busfahrt gestärkt. In Riobamba müssen wir
mittags umsteigen, aber leider ist der Anschlussbus ausgebucht und wir sitzen
schon wieder fest. Doch diesmal zum Glück nur zwei Stunden. Das Warten lohnt
sich: Die folgende Busroute ist eine der wohl schönsten in Ecuador. Sie führt
durch beeindruckende Felslandschaften mit kleinen Dörfchen, die nur aus Kirchen
zu bestehen scheinen. Zwei Stunden vor Cuenca wird das staubige Grau
schlagartig zu einem saftigen Grün mit grasenden Kühen auf runden Hügeln. Erst
bei Sonnenuntergang sehen wir die Umrisse der Stadt, die auch in Westeuropa
liegen könnte, so gepflegt und reich wie sie aussieht.
Gegen 19 Uhr befinden wir uns mitten im Centro Histórico,
das mit seinen vielen Häusern im Barockstil und der Kathedrale sicher eine der
schönsten Altstädte ist, in denen ich je war. Und: Nirgendwo in Ecuador habe
ich mich so sicher gefühlt wie hier! Das einzige Problem: Wir haben noch keine
Unterkunft. Also quatschen wir ein paar Touristen auf der Straße an, die sich
als kolumbianische Hippies entpuppen. Das junge Paar reist mit seinem ungefähr
12-jährigen Sohn und verdient das nötige Geld dazu durch den Verkauf von Torten
und (natürlich!) auch durch Kunsthandwerk. Die Hippies kennen ein gutes Hostel,
“muy económico“, wie sie sagen, in der Nähe und laufen mit uns zusammen hin.
Die Perla Cuencana ist ein Geheimtipp für Reisende mit kleinem Budget. Wir
bekommen ein Fünferzimmer für uns allein und bezahlen nur 5 Dollar pro Person.
Das W-LAN funktioniert einwandfrei und das Wasser ist herrlich warm. Und das
Beste: Von der Dachterrasse aus haben wir einen wundervollen Blick auf die
beleuchteten Kuppeln der Kathedrale. Unglaublich!
Da wir das ecuadorianische Almuerzo – bestehend aus einer
Vorsuppe und Hühnchen oder Fleisch (ja, wirklich: “pollo o carne“!), Reis und
Linsen – so langsam wirklich satt haben, gehen wir heute arabisch essen. Als
wir gehen wollen, regnet es in Strömen, also beschließen wir, in der Bar
nebenan einen Cocktail zu trinken. Wir bestellen zu zweit eine Kanne Caipi.
Kurz darauf kommt die Kellnerin zurück und sagt, sie habe keinen Cachaça. Na
schön. Wir studieren die Cocktailkarte weiter, doch letztendlich stellt sich
heraus, dass es nur Cuba Libre und Mojito gibt, weil alle Basisspirituosen
außer Rum leider aus sind. Wir entscheiden uns für den Mojito, in dem dann auch
nichts anderes drin ist, als Rum, Minzblätter, ein kleines bisschen
Leitungswasser und noch weniger Zitrone. Nach zwei Schlucken ist mir schon
schwindlig und wir lassen den Rest lieber stehen.
Stattdessen versuchen wir uns in einer anderen Bar lieber an
einer typisch ecuadorianischen Spezialität: Canelazo – ein heißes Getränk, das
an Apfelglühwein erinnert, aber aus Naranjillasaft, Zimt, Nelken und
Zuckerrohr-Aguardiente besteht. Passt ja auch viel besser zum kalten
verregneten Wetter! :-)
Ziemlich angetrunken falle ich gegen 23 Uhr ins Bett. Als
Marvin sich auch hinlegt, hören wir ein lautes Knacken – eine Latte vom Rost
hat sich leider gerade verabschiedet. Wir legen uns in eines der anderen
Betten. Spätestens nach 5 Minuten haben wir auch davon die Nase voll, denn die
Federn aus der Matratze bohren sich in unsere Rücken. „Typisch Sozialismus –
alle bekommen etwas, was zwar eine Macke hat, aber so ein bisschen
funktioniert“, sagt Marvin und ich lache. Kapitalistisch wie wir sind, tauschen
wir die Matratzen der beiden Betten aus... und schlafen beim beruhigenden
Trommeln der Regentropfen auch sehr bald ein.
Am nächsten Vormittag machen wir nach einem ausgiebigen
Frühstück in der Panadería um die Ecke erst mal eine Stadtrundfahrt, denn
Cuenca hat immerhin ungefähr so viele Einwohner wie Bremen. Dabei lernen wir
eine deutsche Familie kennen, die zwar schon seit zwei Wochen in Ecuador ist,
sich aber bisher nicht getraut hat, in einem Markt zu essen und auch sämtliche
ecuadorianische Spezialitäten nicht kennt. Als ich von Morocho, Colada Morada,
Empanadas, Cuy und Co. erzähle, holen sie erst mal ihre Kamera raus und filmen
mich, damit sie sich das alles merken können. Ihre Tochter nörgelt rum, dass
sie lieber zu Subway möchte, es ist also eher fraglich, ob meine
Lokal-Guide-Aktivitäten zu etwas führen...
Cuenca ist wirklich eine tolle Stadt. Besonders gut gefallen
mir der Blumenmarkt bei der Kathedrale und all die schön begrünten Plätze. Das
einzige Problem sind die Stromkabel, die über den Straßen hängen. Unser
Doppeldeckerbus nimmt gleich eines von ihnen mit und wir müssen uns an fast
jeder Kreuzung ducken...
Auch hier besuchen wir regelmäßig die Markthalle. Das wohl
skurrilste Erlebnis hatten wir mit einem ecuadorianischen Händler, der uns
eigentlich Scheren und Nähzeugs verkaufen möchte:
“¿Tijeras?“
“No, gracias“
“¿Neceser de costura?“
“¡No gracias!“
“¿¿Elvis Priislii??“
Er grinst und zeigt dabei seine schiefen Zähne und zieht
einen Haufen kleiner Elvis-Presley-Puppen hervor, die hin und her wackeln wie
Wackeldackel. Ich bin völlig verdutzt. Und sprachlos. Später bereue ich, keine
dieser Puppen gekauft zu haben. Die Situation war einfach zu komisch.
Blumenmarkt |
ecuadorianischer Spielplatz - um Einiges gepflegter als in Deutschland! |
Samstag, 9. November 2013
Sinchipura
21. August
Eigentlich sollte gerade einer dieser magischen Momente
sein. Wir laufen Jorge, einem Einwohner eines indigenen Dorfes hinterher, immer
weiter und weiter ins grüne Geäst des Dschungels. Es ist eine aufregende
Wanderung auf einem Pfad, der erst mit Machete freigelegt werden muss, um
überhaupt passierbar zu sein. Wir klettern über Felsen und halten uns dabei an
Wurzeln fest, hautnah sehen wir eine giftige Korallenschlange im Unterholz.
Dank der feuchten Hitze klebt meine weiße Baumwollbluse an meinem Oberkörper. Eine
unglaubliche Vielfalt an Schmetterlingen und Helikonien ziert diesen
urnatürlichen Ort. Marvin scheint die Wanderung sehr zu genießen, was mich
freut. Doch ich möchte einfach nur weg.
Was ist nur mit mir los? Ich bin so in mich gekehrt wie selten.
Fühle mich erdrückt, gefesselt, obwohl ich doch so frei bin wie nie zuvor! Wie
fast nie zuvor.
Ich glaube, mir fehlt das Alleinsein. Es mag paradox
klingen, doch ich vermisse die Einsamkeit.
Denn Einsamkeit ist für mich nichts Negatives. Einsamkeit
ist wie Zweisamkeit, nur eben allein. Ich möchte endlich mal wieder ungestört
philosophieren, reflektieren, oder überhaupt erst einmal wahrnehmen!
Wenn ich dies momentan versuche, fühle ich mich, als würde Marvin mir zuhören,
meine Gedanken lesen. Natürlich ist ihm das nur bis zu einem geringen Maße
möglich und doch fühle ich mich in meiner Privatsphäre gestört.
Ich weiß, dass ich mich anders verhalten würde, würde ich
denken wie in einsamen Zeiten. Obwohl Gedankenfreiheit ein Grundrecht eines
jeden Menschen ist, kann ich sie nicht ausleben, wenn andere kontinuierlich anwesend
sind. Warum nur?
Eines ist mir klar: Durch mein verändertes Verhalten fühle
ich mich nicht wohl. Ich bin geradezu unkontrolliert patzig und ungerecht,
obwohl ich weiß, dass es objektiv gesehen keinen Anlass dazu gäbe.
Auch meine Wahrnehmung verändert sich durch meine
unterdrückte Gedankenwelt. Ich kann mich weniger auf fremde Menschen einlassen,
denn da ist immer noch ein Begleiter, der das kritisch betrachten könnte.
Dazu kommunizieren Marvin und ich natürlich ständig – auch,
wenn wir gerade nicht reden. Es lenkt mich unwahrscheinlich von der Außenwelt
ab, welche nur noch wie ein Film an mir vorbeizuziehen scheint.
Meine eingeschränkte, verzerrte Wahrnehmung spiegelt sich
sogar in meinen Texten wieder, in denen ich nun häufig davon schreibe, was WIR
denken, finden und fühlen und nicht, was ICH unabhängig davon meine. Und diese
pausenlose Wir-Wahrnehmung ist offenbar das, was mich auf Dauer enorm
unzufrieden macht.
Vielleicht habe ich früher einfach nie meine
Gedankenfreiheit ausgelebt und das erst jetzt durch meine Zeit in Quito gelernt.
Versuchen wir im Alltag nicht ständig, uns in bestimmte Rollenbilder
einzupassen – die Vorzeigetochter, die Einser-Schülerin, die perfekte
Partnerin? Ist es vielleicht sogar notwendig, sich im Rahmen dieser bestimmte
Gedankengänge zu untersagen – oder gar nicht erst zuzulassen?
Möglicherweise hänge ich nun einfach nur im Spagat zwischen
der Anpassung an das Rollenbild „perfekte Partnerin“ und der Freiheit, in der
ich mich in den letzten Wochen entfalten konnte...
Blöderweise helfen mir all diese Gedanken dennoch nicht
weiter. Denn im Endeffekt sehne ich mich immer nur nach meiner vergangenen Zeit
in Quito, die ich nicht zurückholen kann...
Das indigene Dorf Sinchipura, in dem wir fast drei Tage
wohnen, ist wie ein Paradies auf Erden. Es liegt direkt an einem rauschenden
Fluss mitten im Urwald und ist nur über eine einzige Brücke erreichbar. Hühner, Küken und Hunde laufen frei herum, es riecht den ganzen Tag über nach Lagerfeuer. Jede der etwa 10 Familien hier besitzt ein eigenes Holzhaus, die Gärten voller Kakao-, Yuca- und Bananenpflanzen erstrecken sich bis ins scheinbar Unendliche in den Wald hinein.
Der
bereits erwähnte Jorge ist die nächsten Tage sowas wie unser Reiseleiter, da er
neben Quechua im Gegensatz zu vielen anderen fließend Spanisch spricht. Er ist
Bildhauer und zeigt uns nach unserer Dschungelwanderung seinen Arbeitsplatz, ein kleines Holzatelier, in dem wir gemeinsam Kreisel aus der Schale einer Dschungelfrucht und einem dunklen
Holzsorte schnitzen. Es tut gut, sich mal wieder kreativ ausleben zu können,
deshalb verziere ich gleich noch einen zweiten Kreisel, während Marvin mit den
Männern der Dorfgemeinschaft Fußball spielt. Als es in der Holzhütte dunkler
wird, weil draußen die Dämmerung hereinbricht, setze ich mich in eine
Hängematte, sehe den anderen beim Spielen zu und verliere mich in einer
gedankenlosen Starre, die erst wieder aufgehoben wird, als wir mit Jorge auf
der Veranda des Gemeinschaftshauses zum Abendessen Platz nehmen. Wir tauschen
uns über die Sozialsysteme Ecuadors und Deutschlands aus. Als wir Jorge
erzählen, wie hoch der Hartz-IV-Satz in Deutschland ist und dass es sogar noch
eine Sozialwohnung gratis dazu gibt, kann er es kaum glauben. Noch
fassungsloser wird er, als wir erwähnen, wie viele Menschen in Deutschland
einfach aus Bequemlichkeit dieses Geld kassieren und nicht arbeiten gehen. Denn
in Ecuador gibt es zwar ein Arbeitslosengeld, dieses beträgt allerdings nur ca.
50 Dollar im Monat und wird allenfalls von Menschen mit absoluter
Arbeitsunfähigkeit bezogen. Ansonsten haben hier alle eine Arbeit, egal wie
klein und unbedeutend diese auch sein mag.
Als wir gegen neun zurück in unsere Schlafhütte gehen, ist
der schwarze Himmel besetzt von unendlich vielen funkelnden Sternen und der
Vollmond scheint silbern in unsere müden Gesichter. Trotz meiner Unzulänglichkeiten
schlafe ich heute recht zufrieden unter meinem Moskitonetz ein, denn mir wird mal wieder bewusst, wie
nichtig meine Probleme im Gegensatz zu anderen Missständen auf dieser Welt
sind.
Die nächsten Tage leben wir gemütlich dahin beim Baden in
Lagunen, einer Flusswanderung und typischen indigenen Aktivitäten wie der
Chicha-Herstellung (ein ziemlich markantes Getränk aus vergorener Yuca) und
Rohrstock-Schießen. Letzteres war ursprünglich eine Jagdtechnik, mit der man
angeblich bis zu 80 Meter weit schießen konnte. Wir bekommen es allerdings
nicht einmal wirklich hin, den Stiel der Helikonie zu treffen, die Jorge als Zielscheibe
ca. 10 Meter vor uns in die Erde gesteckt hat...
Mein persönliches Highlight aber ist die Motorradfahrt zu
dritt zur Laguna Azul über die Schotterwege und Brücken der indigenen Dörfer.
Es ist ein wundervolles Gefühl, wie der Tropenwind durch meine Haare kämmt,
während wir hucklige Hügel rauf und runter sausen. Leider vergesse ich dabei
völlig, dass sich unter meinem rechten Bein das Auspuffrohr befindet, an dem
ich mir beim Absteigen erst mal eine schöne Brandblase zuziehe... pero valió la pena!
die Korallenschlange |
Jorges Atelier |
Rohrstock-Schießen |