Sonntag, 30. Juni 2013

Besteigt den Berg, damit ihr die Welt sehen könnt, nicht damit die Welt euch sieht.

Heute bin ich nach fünf Stunden Schlaf um 05:40 Uhr aufgestanden, um mit Stine, Alex, Gabriel und anderen Leuten aus der Sprachschule zum Cotopaxi, einem der höchsten aktiven Vulkane der Welt (5897m), zu fahren. Bis auf die Tatsache, dass ich mich warm anziehen musste, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartete. Nach zweieinhalb Stunden Fahrt sind wir so um 10 Uhr am Ausgangspunkt unserer Wanderung angekommen. Ich staunte nicht schlecht, als ich erfuhr, dass dieser sich schon auf 4500m Höhe befand. Allein das war schon viel höher als der höchste Berg, den ich je bestiegen habe. Erstaunlicherweise merkte ich immer noch nichts von möglichen Symptomen der Höhenkrankheit, obwohl ich normalerweise immer Kreislaufprobleme hatte. Aber ich will mich nicht beklagen. ;-)
Um uns herum befand sich eine Mondlandschaft, die nur deshalb irdisch wirkte, weil sie übersät war von roten und gelben kleinen Blümchen.
Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt,  die eine más lento als die anderen. Wir sind mit der schnelleren mitgegangen, was bis zum "refugio", der Berghütte auf 4800m, absolut kein Problem darstellte, auch wenn es sehr anstrengend war. Wer wollte, konnte noch bis zur Schneegrenze hinaufwandern. Natürlich wollte ich mit! Der Aufstieg wurde jedoch nach und nach immer beschwerlicher, denn zum Einen bestand der Boden nur noch aus Vulkanasche, was dazu führte, dass man, wenn man zwei Schritte bergauf lief, sofort einen wieder nach unten sackte, und zum anderen wurde die Luft immer dünner.  Die letzten 100hm waren der Horror. Alle paar Meter musste ich stehen bleiben, um meinen Puls und meine Atmung wieder zu beruhigen. Dazu fühlten meine Beine sich auf einmal an wie Pudding. Doch was ich in der Ferne sah, spornte mich an: Die skurillen Eisgebilde wirkten so unwirklich schön, einfach fantastisch! Auf 5100m erreichten wir endlich unser Ziel. Passenderweise begann es zu schneien. Kaum zu glauben, dass Ecuador eigentlich in der tropischen Klimazone liegt! Bläulich, weiß und rot von der Vulkanasche sponnen sich spitze Eisberge mit gigantischen Höhlen und Eiszapfen über den Berg. Der Anblick war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Gern wäre ich noch länger da geblieben, aber ohne die Bewegung wurde es bald sehr kalt, weshalb wir wieder zum "refugio" Mittagessen gingen. Dort erwartete mich wieder mal eine Überraschung: Es gab Perlensuppe - eine Suppe mit Gräupchen, Huhn und Gemüse, die meine Oma auf ähnliche Weise ganz häufig für mich gekocht hat, als ich noch klein war. Nirgendwo auf der Welt habe ich bisher eine echte Perlensuppe bekommen und jetzt gibt es sie ausgerechnet in irgendeiner kleinen Hütte auf dem Cotopaxi! An dieser Stelle viele Grüße an Oma. :-)
Ich frage mich, ob das Schicksal ist, sofern es Schicksal gibt. Was ist Schicksal eigentlich? 









Samstag, 29. Juni 2013

"Reisen ist, in jedem Augenblick geboren werden und sterben." - Victor Hugo

Heute ist mein dritter Tag hier und ich fühle mich jetzt schon wie neugeboren. Ich bin irgendwie... lockerer.  Vorgestern bin ich das erste Mal in der Sprachschule gewesen und habe eine Führung durch das touristische Viertel Mariscal bekommen, neben dem ich wohne. Momentan ist Mariscal eine große Baustelle, denn der Kabelsalat,  der sich wie schwarze Spaghetti über den Straßen entlang zieht,  soll bald unter die Erde gebracht werden. Mariscal besteht ansonsten hauptsächlich aus Restaurants und Bars, in Genuss letzterer bin ich am sogar noch am gleichen Abend gekommen. Nachmittags habe ich mit Gabriel zur Stärkung vor meiner ersten Salsastunde in einer Bäckerei eine Zimtschnecke gekauft.  Bis auf die Tatsache, dass man sich in ecuadorianischen Bäckerein selbst bedient,  sind sie den deutschen - abgesehen davon,  dass es kein Graubrot gibt - erstaunlich ähnlich. In der Salsastunde habe ich mit Severin getanzt, einem Schweizer, der im gleichen "Spital", wie er sagt,  arbeitet wie ich.  Es hat unglaublich viel Spaß gemacht,  sodass ich sofort zur Salsa-Party am gleichen Abend zugesagt habe. In der Sprachschule und beim Salsa habe ich schon so viele Leute kennengelernt,  dass ich die Namen absolut nicht mehr beisammen bekomme. Die meisten sind Deutsche, was dazu führt, dass sich in mein durch das viele Englisch Sprechen bedingte Spenglish noch ein bisschen deutsche Grammatik mischt. Das ist vielleicht confusing! However, ich hatte abends viel Spaß mit Lisa, Mona, Conny, Johannes und Gabriel in der "Safari-Bar" und habe dort gleich meinen guten Vorsatz verletzt,  hier keinen Alkohol zu trinken.  Die Caipis sahen einfach so verlockend aus! Und was noch viel cooler war: Wir durften sie mit dem Barkeeper zusammen mixen! Dank meines leichten Schwipps habe ich mich das erste Mal seit Langem richtig fallen lassen und neue Salsa-Figuren so schnell gelernt, als läge es mir im Blut. Seither denken alle,  ich sei eine richtig gute Tänzerin. Wer mich länger kennt, weiß,  dass das eigentlich absolut nicht zutrifft! Wir hatten so viel Spaß,  dass wir gar nicht merkten, dass es schon nach Mitternacht war.
Leider wurde ich schon um 6:20 Uhr wieder geweckt, weil ich direkt neben der Garage schlafe. Die Autos hier sind einfach viel lauter und die Abgase meistens tiefschwarz. Dafür hatte ich im Gegensatz zum Vortag eine heiße Dusche (das Gas wurde nachgefüllt), wenn auch mit poco agua. Gabriel und ich nutzen den Morgen für eine ausführliche Shoppingtour auf dem Mercado Artesanal, die wie folgt aussah: Gabe wollte Mitbringsel für seine Schwestern und Eltern und einen Pullover kaufen und ich wollte einfach nur ein bisschen stöbern; nach den anderthalb Stunden,  die wir da waren, war ich stolze Besitzerin von vier neuen Ohrringen, einem Kleid, einem Massagestab und einer Panflöte, während Gabe sich lediglich eine Liste geschrieben hatte,  was er demnächst noch kaufen könnte. Manchmal geht der Sammler-Instinkt eben mit mir durch...
Por la tarde war ich mit zwei weiteren deutschen Mädchen aus der Sprachschule (Lisa Nr. 2 und Claudia) in einem riesigen Park,  danach habe ich - überraschenderweise, weil das Haus jetzt eigentlich voll ist - eine weitere Mitbewohnerin bekommen: Stina aus Norwegen.  Wir verstehen uns hier alle so super, dass ich wünschte, ich könnte die Zeit anhalten.
Die wohl außergewöhnlichste Erfahrung bisher habe ich heute gemacht: Heute Morgen habe ich mich mit meiner Spanischlehrerin, die zufällig nur einen Tag nach mir hier angekommen ist, getroffen und bin mit ihr, ihren Brüdern und ihrer Tochter zu einem Markt gefahren,  der wirklich typisch ecuadorisch war. Wir haben Krebse gekauft,  die hier als teure Spezialität gelten und bei meiner Spanischlehrerin zu Hause gemeinsam gekocht und gegessen. Erst hatte ich wirklich verdammt Angst vor den Scheren, aber schon bald habe ich genauso selbstverständlich lebendige Krebse geschrubbt wie die Familie. Dazu war ich wirklich überrascht, dass ich es geschafft habe, die Dinger mit Appetit zu essen, denn normalerweise wird mir schlecht, wenn ich Krebse auch nur sehe. Aber sie waren más ricos!
Irgendwie fühle ich mich hier so befreit.  Befreit von Zwängen,  die ich mir im Grunde selbst aufdiktiert habe. Befreit von Angst. Und von Ekel. Ich frage mich, warum. Nein, eigentlich nicht. Ich bin einfach glücklich. 















Freitag, 28. Juni 2013

"Es sind die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben." - Wilhelm von Humboldt

Obiges Zitat scheint das Lebensmotto meiner Gastfamilie zu sein. Als ich vorgestern zur Tür reinkam, wurde ich nicht nur von meiner ecuadorianischen Gastmutter Rocío begrüßt, es kam auch ein nicht sonderlich ecuadorianisch aussehender (blond, groß,  blaue Augen) junger Mann angelaufen, der mich auf Spanisch zutexte. Vor Überraschung konnte ich ihm gar nicht richtig zuhören. War das mein ältester Gastbruder Juan?! Auf meinen fragenden Blick antworte Rocío: "Es Gabriel. Vive con nosotros." Aha. Später stellt sich heraus,  dass Gabriel aus Minnesota kommt und hier in einem ähnlichen Projekt arbeitet wie ich. Zuhause studiert er "Genetics", arbeitet aber zur Zeit an einem neurowissenschaftlichen Projekt mit. Ich erzähle ihm, dass ich Neurowissenschaftlerin werden möchte. What a coincidence! Dann lerne ich den echten Juan kennen. Zusammen mit Rocío sehen wir uns das Fotobuch an, das ich mitgebracht habe. Rocío zeigt deutet auf ein Regal mit viiielen Büchern über verschiedene Länder,  allein drei aus Bayern. Ich staune und frage, wo die alle herkommen und bei der Antwort meine ich erst mich zu verhören: Diese Familie hatte in den letzten 10 Jahren über 300 Leute aus aller Welt im Haus. Später lerne ich auch Sebastián, Emilio und Ivan kennen. Sebastián hört den ganzen Abend lang eine Musikmischung aus einer argentinischen Band und Musik von Bruno Mars, mit Juan sehe ich eine Komödie auf Englisch mit spanischen Untertiteln (er hat darauf bestanden, sein Englisch zu üben), was sehr verwirrend ist, da ich mich auf einmal so fühle, als sei Englisch meine Muttersprache. Letztendlich bekommen wir nicht viel vom Film mit, weil wir lieber quatschen. Dabei erfahre Diverses von Juans Berufswunsch (Ingenieur) bis hin zu fragwürdigen Absturz-Partys mit seinen Freunden, nach denen er die anderen ohne Führerschein nach Hause gefahren hat, weil er selbst am nüchternsten von allen war. Kein Wunder, dass der Straßenverkehr hier so chaotisch ist! Etwas zögerlich kommen noch zwei weitere Leute ins Wohnzimmer, die ebenfalls nicht sonderlich ecuadorianisch aussehen. Ich halte die blonde Frau mit ihrer Tochter, die etwas jünger ist als ich, für Freunde dieser doch ziemlich internationalen Familie. Bis sie sich wundern, dass ich so gut Englisch spreche und fragen,  ob ich denn in Quito lebe und ob ich Juans Freundin sei. Es stellt sich also heraus, dass Anna und Chloe ebenfalls hier wohnen. Demnach lebe ich hier momentan mit fünf Ecuadorianern, drei US-Amerikanern und seit heute Nacht noch einem Engländer (Alex, den ich aber noch nicht gesehen habe) zusammen, die alle Nutella lieben, aber nicht kaufen,  weil es hier so teuer ist und sich daher wahnsinnig über das 800g-Glas gefreut haben, das ich mitgebracht habe. Im Folgenden ein paar Fotos von meinem neuen Zuhause:








Mittwoch, 26. Juni 2013

Wo sich eine Tür schließt, öffnen sich viele neue!


Seit Tagen bin ich nicht mehr richtig zur Ruhe gekommen. Vor einer Woche der Abistreich, Freitag die Entlassungsfeier, Samstag der Abiball, die Bewerbung an der Uni, Sonntagabend bis zum Sonnenaufgang das Abschiedsgrillen mit meinen Freunden. Selbst gestern, als ich auf den letzten Druecker endlich meinen Rucksack gepackt habe, war mir noch nicht so richtig bewusst, dass ich jetzt wirklich ans andere Ende der Welt fliege.
Und nun sitze ich hier. 06:30 Uhr. Nachdem die Cabin Crew auf Englisch und sehr niedlich klingendem Hollaendisch die ueblichen Sicherheitsinstruktionen praesentiert hat, rollt der Flieger endlich los und hebt bald  darauf ab. Jetzt gibt es kein Zurueck mehr. Durch das Loch in der flauschig weissen Wolkendecke sehe ich Garbsen. Die Autobahn. Den Blauen See. Die Felder, unsere Strasse, unser Haus. Und meine Schule. Die Morgensonne taucht die saftig gruene Landschaft in ein goldenes Licht. Mein Zuhause und meine Vergangenheit ziehen wie ein Film an mir vorbei. Wehmuetig nehme ich Abschied, denn ich weiss, dass Vieles nicht mehr so sein wird wie vorher, wenn ich in drei Monaten wieder zurueck nach Deutschland komme. Gleichzeitig pocht mein Herz vor Aufregung. Hallo, neue Welt!


13:00 Uhr (ecuadorianische Zeit): Ich kann es nicht glauben! Wir fliegen tatsaechlich ueber Kolumbien! Irgendwo da wohnt Ana!
Die bisherigen fast 10 Flugstunden von Amsterdam, gingen im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug vorbei. Mit meinem Sitznachbarn Pablo Javier konnte ich schon ein bisschen Spanisch ueben, denn er spricht keine Fremdsprachen. Und natuerlich habe ich auch eine Menge Schlaf nachgeholt. Auf dem Flughafen in Quito lerne ich auch noch eine Freundin von Pablo und ihre Eltern kennen. Bis auf die Mamá, die mich von Anfang an in ihr Herz geschlossen zu haben scheint, reden alle wie ein Wasserfall, sodass ich nur schwer folgen kann. Mitten im Gewusel bei der Gepaeckkontrolle schreibe ich Mamá meine e-Mail-Adresse und Telefonnummer auf, damit wir uns nochmal treffen koennen. Und dann sehe ich auch schon das Schild von dem Praktikawelten-Mitarbeiter, der mich zu meiner Familie faehrt.
Der Flughafen liegt ein wenig ausserhalb, so komme ich schon in den Genuss, ein bisschen Anden-Panorama zu bewundern. Ich bin noch immer verzaubert. Schluchten, reissende Baeche, gesaeumt von Palmen, Feuerbaemen und anderen bluehenden Pflanzen, die man sonst nur in den Subtropen sieht. Auch die Stadt passt sich wie selbstverstaendlich in das Gebirgspanorama ein, es wirkt, als haette ein Kind mit bunten Holzkloetzen versucht, eine Siedlung zu bauen.  Vom Hundefriseur bis zur Mini-Hausarztpraxis ueber dem Schnellimbiss sehe ich alle moeglichen Dinge, die in Europa auf diese Art und Weise nicht denkbar waeren. An einer Ampel jongliert ein Junge mit Mandarinen und versucht diese an die wartenden Autoinsassen zu verkaufen. Mal fahren wir an fast doerflich anmutenden Siedlungen, mal an staedtischen Hochhaeusern vorbei. Ueber die immer wieder auftauchenden Felsvorspruenge wuchern Blumen und Kakteen-Gewaechse. Und ploetzlich bin ich hier. Bei meiner Gastfamilie, die mich herzlich willkommen heisst.
Fortsetzung folgt!