Donnerstag, 25. Juli 2013

Nachtrag zum letzten Post

Langsam aber sicher mutiere ich wirklich zur Südamerikanerin. Gestern war Gabes letzter Tag hier, deshalb wollte er zum Abschluss mit Alex und mir nochmal etwas Besonderes unternehmen. Wir beschlossen also, das landestypischte Gericht überhaupt zu probieren: Gegrilltes Meerschweinchen in Erdnusssoße. Gabe kennt durch seine Spanischlehrerin bereits ein gutes und günstiges Restaurant dafür, dass seiner Auskunft nach aber ziemlich weit außerhalb liegt. Früh nachmittags fahren wir also in Richtung Valle de los Chillos und ich staune nicht schlecht, als wir eine Stunde später ungefähr fünf Minuten entfernt von Cecilias Haus aussteigen.  ¡Que coincidencia! Das Meerschweinchen, das an einem Holzstab gegrillt wird, hat eher die Größe eines Spanferkels, aber das ist hier normal. Wir teilen uns das arme Tier zu dritt: Gabe isst den Kopf und Alex und ich jeweils ein Bein (s. Foto). Wider Erwarten schmeckt das Meerschweinchen ein bisschen wie Huhn abgesehen davon, dass seine Haut so fest und knusprig ist, dass sie sich mit Besteck nicht schneiden lässt. Cuy zu essen ist also eine ähnliche Schweinerei wie Rippchen-Orgien im Biergarten. Besonders gut macht sich die Erdnusssoße auf meinem weißen Oberteil...
Nach dem Essen rufe ich Cecilia an, schließlich könnte ich sie ja besuchen wenn ich schon mal in der Nähe bin. Sie freut sich sehr, von mir zu hören, und fragt mich, ob ich nicht Lust hätte, in einer Viertelstunde mit zu ihrer Mutter nach Calderón, einer kleinen Stadt nördlich von Quito, zu fahren. Ich sage spontan zu und wenig später sitze ich schon mit Cecilia und ihrer Schwester, die ohne Punkt und Komma auf Spanisch blubbert, im Auto. In Calderón lerne ich nicht nur Cecilias liebenswerte Mutter kennen, die mich am liebsten gleich da behalten würde, ich bekomme auch schon ein Zimmer in Quito und einen ecuadorianischen Ehemann angeboten, lehne jedoch lachend ab. ;-)
Cecilia und ich gehen zusammen in einen Handwerksladen mit landestypischen Holzfiguren, Guaguas de Pan (ein typisches Brot des Día de los Difuntos) und diversen anderen traditionellen Dingen (s. Fotos im letzten Post). Dann besorgen wir in der Apotheke Aspirin für die Oma. Hier in Ecuador gibt es, glaube ich, mehr Apotheken als Lebensmittelgeschäfte und die meisten gleichen eher einem Kiosk. Neben der Theke werden diverse - vor Farbstoff und Zucker strotzende! - Süßigkeiten angeboten, Rezepte braucht man hier nicht, man muss lediglich wissen, welches Medikament man kaufen möchte.
Wieder zu Hause bei der Oma gibt es Abendbrot: heiße Schokolade und warme mit Käse gefüllte Brötchen. So weit, so gut. Wenn man hier die Käsebrötchen hier nur nicht in die heiße Schokolade tunken würde! Tatsächlich schaufeln sich sogar alle Familienmitglieder den etwas gummiartigen, salzigen Käse in ihre Tassen und löffeln ihn mit der süßen Sünde. Natürlich probiere ich es auch aus, finde jedoch nach wie vor, dass Schokolade und Käse nicht wirklich zusammenpassen.
Nach einem Tag voller kulinarischer Abenteuer falle ich abends schwer wie ein Stein, aber überglücklich in mein Bett.

Mittwoch, 24. Juli 2013

"Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden!" - Mark Twain

Nach einer Woche eher bedrückter Stimmung und ständig Achterbahn fahrender Emotionen, Hader und Selbstzweifel habe ich gestern Morgen beschlossen, einen Selstversuch zu wagen: Was passiert eigentlich, wenn wir tatsächlich einfach mal daran glauben, das Glück auf unserer Seite zu haben? Wenn wir nicht jede Kleinigkeit in Bezug auf unsere Persönlichkeit und Ausstrahlung hinterfragen?
Besonders für nachdenkliche Menschen wie mich klingt das jetzt wohl erstmal verrückt, ja, geradezu unmöglich. Wie bitte soll man aufhören zu denken?
Ich glaube, das Geheimnis ist, dass es gar nicht darum geht, aufzuhören zu denken. Vielmehr müssen wir versuchen,  bestimmte Gedanken aus dem Kopf zu verbannen wie unerwünschte Gäste aus dem eigenen Haus. Anstelle also zu denken "Die Männer hupen und pfeifen mir hier alle nur hinterher, weil ich blond bin.", verstehe ich solche Situationen ab sofort als Kompliment und wenn ich dennoch auf dumme Gedanken komme, singe ich im Kopf ganz laut "Pretty Woman", bis ich mich gut fühle.
Sicher werden jetzt Einwände folgen, dass man sich doch keinen Schwachsinn einreden solle, weil man letztendlich ohnehin nur enttäuscht werde. Ich verstehe diesen Einwand, häufig genug habe ich schließlich auch so gedacht. Aber warum wollen wir uns das Leben unnötig schwer machen? Wer sagt denn, dass man(n) uns nicht Aufmerksamkeit schenkt, weil wir attraktiv und liebenswert sind? Und vor allem: Wenn wir es erstmal glauben, dann werden wir es tatsächlich auch, weil selbstbewusste, lebensfrohe Menschen einfach eine andere Ausstrahlung haben als sich selbst bedauernde Jammerlappen (, die wir ohne Zweifel jeder mal waren). Letztere haben daher i.d.R. ein großes Problem: Obwohl sie gerade in dieser Verfassung ein positives Feedback von außen mehr als nötig hätten, ist es für sie besonders schwierig, gut bei ihren Mitmenschen anzukommen. Denn erstens sind uns lächelnde Menschen meistens sympathischer als mürrische. Und zweitens - und das ist meines Erachtens das Ausschlaggebende - bemerken wir positive Rückmeldungen von außen nicht mehr richtig, wenn wir schlecht drauf sind, sondern steigern uns in unser Leid. Kein Wunder also, dass an vermeintlich "schlechten" Tagen auf einmal ALLES schief zu laufen scheint! Wir beschwören es ja geradezu herauf!
Ab sofort werfe ich also alle ungebetenen Gäste aus meiner Gedankenwelt und ganz plötzlich geht es mir wieder blendend! Die Patientinnen auf meiner Station behandeln mich wie ihren Schutzengel und bedanken sich bei mir dafür, dass ich sie geheilt habe - obwohl ich aus medizinischer Sicht kaum etwas dazu beigetragen habe! - , vier junge Internisten wollen mit mir Salsa tanzen gehen, und auf einmal werde ich ständig für mein Spanisch gelobt. Die Königsberger Klopse, die ich koche, machen so süchtig, dass alle sich dreimal bei mir bedanken und nach dem Rezept fragen.
Das Einzige, was daneben geht, ist die rote Grütze, weil ich kein vernünftiges Puddingpulver im Supermaxi finde. Doch die improvisierte warme Fruchtsoße aus Brombeer- und Erdbeerkonzentrat, Wasser, Himbeeren, Erdbeeren und Flan-Instant-Pulver kommt auch super gut an: Ich habe noch nicht mal alle Tassen ins Esszimmer gebracht, da rufen Juan und Emilio schon wie aus einem Munde "Colada Morada!" und ich denke, dass das jetzt nicht wahr sein kann. Denn Colada Morada ist ein typisches ecuadorianisches Getränk, dass hier nur zum Allerseelentag getrunken wird. Im Spanischunterricht haben wir einmal einen Vortrag über den Día de los Difuntos gehalten und mehr oder weniger vergeblich versucht, dieses spezielle Getränk zuzubereiten. Und jetzt schmeckt meine rote Grütze fast genauso!
Warum ich das so ausführlich beschreibe? Eine (und wohl mitunter die wichtigste) Erkenntnis, die mich mein Aufenthalt in Ecuador gelehrt hat, ist, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn die Dinge gänzlich anders laufen als geplant. Ganz im Gegenteil: Häufig offenbaren sich durch Zufälle, die unsere Pläne über den Haufen werfen, wirklich positive Überraschungen. Wenn man sie nur zulässt... Am schönsten hat Goethe das einmal gesagt: "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, lässt sich Schönes bauen!"
Ich weiß, dass wir aus hormontechnischen Gründen nicht immer glücklich sein können. Aber mir ist inzwischen auch klar, dass wir uns Tage, an denen wir tatsächlich glücklich sein KÖNNTEN, häufig durch eine negative Grundeinstellung gründlich vermiesen. Warum stehen wir also unserem eigenen Glück im Weg, anstatt jedem Tag einfach die Chance zu geben, der schönste unseres Lebens zu werden?


mein Arbeitsplatz

Blick von meiner Station

auf der Dachterasse vom Krankenhaus


comida típica alemana


cuy = Meerschweinchen




typisches Brot-Pferd des Día de los Difuntos





Sonntag, 21. Juli 2013

„Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften.“ - Antoine de Saint-Exupéry

Seit Tagen fühle ich mich, als würde ich neben mir stehen. Als ich am Donnerstag wieder arbeiten gehe, ist es, als säße ich im Kino und sähe mir selbst als Hauptdarstellerin beim Handeln zu. Als andere Leute mich ansprechen, antworte ich wie automatisch auf Spanisch, ohne groß darüber nachzudenken, was ich sage. Meine Beine tragen mich von A nach B, ohne dass ich sie wirklich dabei beeinflussen kann. Zufällig lande ich in einem Krankenzimmer, in dem gerade eine kleine Operation am Bauch einer Patientin durchgeführt wird. Leider habe ich keine Ahnung, worum es geht, da ich mittendrin reinplatze, aber ein Assistenzarzt winkt mich heran, damit ich auch zusehe. Die Patientin hat zwei Schnitte im Unterbauch, durch die ein Plastikschlauch geführt wird, durch den kontinuierlich eine transparent gelbliche Flüssigkeit austritt. In der Wunde unterhalb des Bauchnabels wird mit OP-Scheren rumgewerkelt und geschnippelt. Es ist das erste Mal, dass ich live bei einer Operation dabei bin, und obwohl es eine kleine Sache zu sein scheint, wird mir auf einmal ganz schwindlig. Dabei finde ich es wahnsinnig interessant! Als mir zunehmend schwarz vor Augen wird, verlasse ich kurz den Raum, um das Desinfektionszeug für die Fieberthermometer wegzubringen. Ich atme ein paar mal tief ein und aus und schiebe meine Unpässlichkeit auf die Tatsache, dass ich bis vor Kurzem ja selbst noch eine erhöhte Körpertemperatur hatte, und laufe dann zurück in das Zimmer. Ich sehe dabei zu, wie der Plastikschlauch wieder entfernt und die Wunden genäht werden und werde sogar dazu aufgefordert, mit Tape Kompressen auf dem Bauch der Patientin zu befestigen. Trotzdem fühle ich mich auf einmal wahnsinnig verunsichert. Kann ich wirklich Medizin studieren, wenn mir schon bei solchen Kleinigkeiten ganz anders wird?

Nach dieser doch ganz neuen Erfahrung putze ich nur noch Tische und drehe Wattebällchen, weil ich nun noch mehr neben mir stehe als zuvor ohnehin schon. Ich fühle mich, als würde ich ein unendliches Déjà vu durchlaufen, das bis heute nicht aufgehört hat. Ständig gerate ich in Situationen, in denen ich mir sicher bin, sie ganz genauso vor einer ewig langen Zeit schon einmal erlebt zu haben, obwohl ich mich nur noch an Bruchteile erinnere. Dazu erlebe ich komische Zufälle - so hängt am Blumengesteck einer meiner Lieblingspatientinnen ein Kärtchen mit der Aufschrift: "Si se cierra una puerta se abre otra para usted" - "Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich für dich eine neue". Genau das, was ich unmittelbar nach meinem Abflug aus Hannover gedacht habe. 
Ich gehe am Donnerstag früh nach Hause, weil ich hoffe, mich ein wenig erholen zu können, wieder normal zu werden. Ich koche mir einen Oreganotee, weshalb ich spätnachmittags schon wieder Appetit auf Pizza bekomme. Diesmal hat die Pizzeria aber geschlossen, daher setze ich mich in einem Grillimbiss zu drei Ecuadorianerinnen an den Tisch und bestelle einen Fleischspieß. Wir plaudern ein bisschen und tauschen dann Nummern aus. Auf einmal fühle ich mich, als würde ich schon seit einer halben Ewigkeit hier wohnen und doch bin ich noch so fremd. In meiner Einsamkeit werde ich ein wenig melancholisch und doch weiß ich, dass das zwangsläufig der erste Schritt in eine neue, unbekannte Welt ist. 
Plötzlich verstehe ich, wie sich Immigranten mit einer anderen Muttersprache in Deutschland fühlen müssen. Immigranten, über die sich viele Deutsche so unglaublich aufregen, weil sie angeblich nicht versuchen, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Aber würden wir das denn tun, wenn unser Arbeitgeber uns auf einmal in ein fremdes Land versetzt? Ein Land, dessen Sprache wir kaum oder gar nicht sprechen? Ein Land mit ganz anderen kulturellen Gegebenheiten, als wir sie von zu Hause kennen? Was würden wir tun?
Allein diese Vorstellung macht es vielleicht ein bisschen einfacher zu verstehen, warum sich viele Immigranten in Gruppen ihresgleichen aufhalten und geradezu krampfhaft versuchen, ihre Traditionen fortzuleben, sodass sie häufig einen konservativeren Lebensstil pflegen, als sie es in ihrer Heimat tun würden. Als Immigrant wird man immer einer Minderheit angehören, man wird immer der Fremde bleiben, egal, wie sehr man versucht, sich zu integrieren. Es muss wahnsinnig schwer sein, mit dieser Erkenntnis zu leben und andererseits glaube ich, dass es unglaublich bereichernd für die eigene Persoenlichkeit sein kann. Denn man wird zwar niemals wirklich ein Teil der anderen Gesellschaft werden, kommt dieser aber von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr immer näher. Zu versuchen, aus seinen anerzogenen Verhaltens- und Wertemustern auszubrechen, zu versuchen, imaginäre Grenzen zu überschreiten, ermöglicht einem eine ganz neue Sichtweise auf die Welt und die Menschen. Und auch, wenn wir die absolute Wahrheit, sofern eine solche existiert, nie erfahren werden, kommen wir ihr auf diese Weise Stück für Stück näher.
Nachdem ich gestern zusammen mit Lili, die heute nach Hause an die Küste fährt, im Parque La Carolina war, ist mir klar, warum ich so betrübt bin: Ich bereue es, nur für sechs Wochen "allein" in Quito zu sein. Wie bitte will man in sechs Wochen eine andere Kultur kennenlernen, wenn man noch nicht einmal der Sprache richtig mächtig ist? Es verunsichert mich so immens, häufig nur die Hälfte dessen, was man mir sagt, sofern es über den allgemeinen Smalltalk hinausgeht, zu verstehen. Ich möchte wissen, was die Ecuadorianer wirklich sagen und auch bestimmte Zwischentöne heraushören können. Ich möchte nicht immer nur vermuten müssen, was wirklich gemeint ist, sondern verstehen lernen. Ich möchte nicht nur die Reisende sein, die in absehbarer (kurzer!) Zeit wieder nach Hause fährt, ich möchte wissen, wie es ist, einen richtigen Alltag hier zu leben. Ich möchte Freundschaften mit Ecuadorianern knüpfen, möchte wissen, wie sie wirklich denken und fühlen. Warum bin ich also nur für sechs Wochen hier? Habe ich wirklich geglaubt, in solch einer kurzen Zeit auch nur eine grobe Vorstellung davon zu bekommen, wie es hier ist?
Im Grunde lassen sich diese Fragen ganz einfach beantworten. Ich hatte Angst. Angst vor der Fremde. Angst davor, mit den neuen Gegebenheiten nicht zurechtzukommen. Angst davor, zu vereinsamen. Und sicherlich wäre es auch nicht einfach, lange hier zu leben, das merke ich schon jetzt. Die Menschen hier sind großenteils einfach viel unzuverlässiger. Wenn man sich verabredet, heißt das noch lange nicht, dass man sich auch wirklich trifft. Häufig kommen andere Dinge dazwischen, ständig werden Termine hin- und hergeschoben. Für mich als korrekte, durchgeplante Deutsche ist es super schwierig, mit diesem ungewohnten Maß an Spontanität umzugehen, zumal es in Deutschland ja schon als unhöflich gilt, eine einzige Verabredung ohne gute Begründung mal eben so abzusagen oder zu verschieben. Als unsichere Person fragt man sich ständig, ob der andere persönlich etwas gegen einen hat oder generell keine Lust hat, sich mit einem zu treffen. Dabei ist das hier ganz natürlich. 
Andererseits gestaltet es sich auf diese Weise für mich auch schwierig, innerhalb der gut zwei Wochen (Donnerstag fliege ich ja nach Cali), die mir hier noch bleiben, tiefgründigere Beziehungen zu Ecuadorianern aufzubauen, zumal die meisten nur Spanisch sprechen. Das macht mich momentan wirklich traurig. Ich wünschte, ich könnte meinen Rückflug einfach auf 2014 verschieben und hierbleiben. Ich brauche einfach mehr Zeit, um das zu tun, was ich mir vorgenommen habe: endlich mal richtig in eine fremde Welt einzutauchen.










Donnerstag, 18. Juli 2013

"Reisen ist tödlich für Vorurteile." - Mark Twain

Um unserer trauernden Gastfamilie ein bisschen mehr Privatsphäre zu lassen, beschließen Gabe, Alex, Stine und ich am Montag so viel Zeit wie möglich außer Haus zu verbringen. Ich bringe lediglich ein Blumengesteck als Zeichen unserer Anteilnahme nach Hause und nehme Rocío in den Arm, die sehr mitgenommen aussieht. Dann gehen wir im Mariscal in ein mexikanisches Restaurant essen. Eigentlich wäre ich viel lieber ecuadorianisch essen gegangen, habe aber wahnsinnig Hunger, sodass ich mich mit der überteuerten Touriabspeise begnüge. Nach einer Riesenportion Burritos und einem Erdbeer-Margarita falle ich schließlich ein wenig benommen in mein Bett.
Leider wird es keine ruhige Nacht. Ab halb 1 Uhr laufe ich im 30-Minuten-Takt zur Toilette, fühle mich auf einmal so wahnsinnig krank. Je länger ich wach bleibe desto schlimmer wird es. Die Medikamente, die ich nehme, helfen kein bisschen. Ich fühle mich meinem Ende nahe, obwohl ich weiß, dass es so schlimm bestimmt nicht ist. Erst als ich mich übergeben muss, wird es ein kleines bisschen besser. Bis morgens um sechs bekomme ich kein Auge zu, weiß nicht, was ich tun soll. Mein Mund fühlt sich so trocken an und ich würde gerne Tee trinken, suche aber vergeblich nach Streichhölzern für den Herd. Als ich einen Schluck Wasser trinke, muss ich mich sofort wieder übergeben. Dazu erschrecke ich ordentlich, als ich sehe, dass ich 39 Grad Fieber habe. Morgens um sechs rufe ich Mama bei Skype an, obwohl es mir eigentlich peinlich ist, dass ich mit meinen gesundheitlichen Problemen hier nicht allein zurecht komme. Sie empfiehlt mir, keine weiteren Medikamente einzunehmen - schließlich muss raus, was raus muss - sondern stattdessen einen der Jungs aufzuwecken, was ich dann auch mache. Gabe kocht mir einen Kamillentee und bald darauf schaut auch Rocío nach mir und bereitet ein typisches Hausmittel gegen Verdauungsstörungen zu: Oreganotee mit ein bisschen Zucker.
Nachdem ich diesen Wundertrank literweise aus Biergläsern getrunken habe, geht es mir abends schon viel besser. Als meine Mitbewohner nach Hause kommen, erfahre ich, dass es Stine ähnlich geht, auch wenn es sie nicht ganz so hart erwischt hat. Somit wird uns auch die Ursache des Dilemmas klar: das Eis in unseren Getränken beim Touri-Mexikaner - im teuersten Restaurant, in dem ich in Ecuador gegessen habe! Das ist mal wieder typisch! Ich habe regelmäßig Mittagessen für einen Dollar an Garküchen gekauft und obwohl mir die Organisation davon abgeraten hat, habe ich nie irgendwelche Probleme damit gehabt. Und jetzt wird mir die blöde Touriabspeise zum Verhängnis! Da sieht man wieder mal, wie weit uns solche Vorurteile bringen. Schließlich bleiben die Ecuadorianer dort, wo sie essen, i.d.R. auch gesund und ich hatte schon drei Wochen Zeit, mich an die hiesigen Gewürze zu gewöhnen.
Ich tröste mich damit, dass ich jetzt zwei Tage Zeit habe, meine Reiseplanung ein wenig ausführlicher auszuarbeiten und mich mal von all den neuen Eindrücken auszuruhen. Mittwochabend habe ich bereits wieder Appetit, wenn auch nur auf Pizza (ich frage mich, ob das an dem ganzen Oreganotee liegt ;-) ). Ich laufe zur Pizzeria um die Ecke, in der die Pizza fast so lecker schmeckt wie in Italien. Es herrscht eine ganz besondere Stimmung, als ich in der Abenddämmerung durch die Straßen laufe. Garküchen pusten im bläulichen Licht mystisch wirkende Rauchschwaden in den Himmel und als es dunkel wird, zieht eine Gruppe musizierener und tanzender Hippies an unserem Haus vorbei. Ich atme den  Grillgeruch ein, lausche dem fremdartigen Trommeln. Wie von Zauberhand fühle ich mich plötzlich stärker und verspeise mit Appetit mehr als eine halbe Pizza. Häufig ist es wohl die beste Therapie, ein bisschen mehr Acht auf die eigenen Bedürfnisse zu geben, als wir es in unserer Workaholic-Gesellschaft gewöhnt sind.

Plaza Foch im Mariscal

Garküchen bei uns um die Ecke

Sonntag, 14. Juli 2013

Das Leben ist eine endlose Reise...

Dieses Wochenende ist mir ganz besonders bewusst geworden, wie ähnlich das Reisen unserem Lebensweg ist. Der einzige Unterschied ist die Geschwindigkeit. Während wir im Leben nicht häufig umziehen und uns mit den meisten Bekannten für einen längeren Zeitraum umgeben, ist das Reisen ein ständiges Kommen und Gehen. Mal entwickeln wir besonders intensive Sympathien für unsere neuen Bekanntschaften, die aber genauso schnell wieder verblassen (obwohl wir uns das zunächst überhaupt nicht vorstellen können), ein anderes Mal treffen wir Menschen, denen wir lieber nicht über den Weg gelaufen wären, doch wir wissen, dass wir sie bald nie wieder sehen werden. In keiner Situation sind wir uns der Endlichkeit des Lebens so bewusst wie auf einer Reise. Und wahrscheinlich ist es diese Erkenntnis, die uns auf Reisen so intensiv wahrnehmen und erleben lässt. Dabei ist unser Leben an sich nicht anders. Verschiedene Menschen kreuzen unseren Weg, die einen länger, die anderen kürzer; Menschen, die uns zum Lachen und Menschen, die uns zum Nachdenken bringen. Kaum einer aber bleibt für alle Ewigkeit. Fröhliche Tage und traurige Tage können direkt aufeinander folgen.
Gestern sind Alex, Gabe, Stine, Hope und ich auf den Pichincha, den Hausberg Quitos (4690m), gewandert. Ein wunderschöner sonniger Tag in einer grandiosen Landschaft - was wünscht man sich mehr? Aber es kam noch besser: Auf halbem Weg treffen wir vier Chinesen aus Peking, die sich wahnsinnig darüber freuen, dass ich sie auf Chinesisch anspreche. Damit ist das Sprachen-Chaos endgültig perfekt! Aber keine Angst, ich schreibe weiterhin auf Deutsch. ;-) Wir machen Fotos und noch mehr Fotos, wie das nun mal so ist mit den meisten Chinesen (einer von ihnen scheint für seine Fotos sogar regelmäßig sein Leben zu riskieren - jedenfalls lag er mehrmals seeeeeeeeeeeeeeeehr dicht am Abgrund!). Ich gebe ihm meine e-Mail-Adresse, damit er mir die Bilder schicken kann. Dann stürmen wir den Gipfel! Obwohl man eigentlich nicht vom Stürmen sprechen kann. Vielmehr kämpfen wir uns im Schneckentempo nach oben, denn auf einer Höhe von 4500m bekommen wir den Sauerstoffmangel mal wieder ordentlich zu spüren. Dafür haben wir genug Zeit, die bizarre aber erstaunlicherweise reiche Vegetation am Wegrand zu bewundern. Gänseblümchen im Großformat, gelb und orange blühende Büsche, von weichem Moos und Flechten überzogene Felsen, die wirken wie große grüne Sitzkissen und in der Tat auch so bequem sind. Es war sicher eine der schönsten Wanderungen, die ich je gemacht habe.
Als wir nach 7 Stunden wieder an der Bergstation der Gondel ankommen, wird mir auf einmal wahnsinnig schlecht. Klar, ich habe ja gerade mal einen Liter Wasser getrunken! Ich möchte auf schnellstem Wege nach Hause und in mein Bett. Leider erwartet uns zu Hause eine weitere Überraschung: Eine Verwandte feiert bei uns ihren Kindergeburtstag, deshalb schreien bestimmt 10 Grundschulkinder ohne Unterbrechung durchs Haus und ich bekomme kein Auge zu. Tatsächlich scheinen ecuadorianische Kinder viel lauter zu sein als deutsche, so laut, dass ich kurz überlege, eine Aufnahme mit meinem Handy zu machen, weil mir das sonst keiner glauben würde. Letztendlich bin ich aber viel zu fertig und schlafe auch trotz des Lärms wenigstens für 45 Minuten ein.
Am nächsten Morgen bin ich wieder putzmunter und fit. Erst gehen wir mit Hope, die heute leider schon nach Hause fährt, frühstücken, dann treffe ich mich kurzfristig mit Cecilia, der Cousine meiner Spanischlehrerin, die ich noch nicht kenne. Sowas wie ein Blind Date also. ;-) Cecilia holt mich bei meiner Gastfamilie ab und wir fahren zu ihr nach Hause, zum Valle de los Chillos. Als wir in der Gated Community ankommen, in der sie wohnt, bin ich erstmal total überwältigt. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es so viele verhältnismäßig reiche Ecuadorianer gibt! Mein Eindruck bestätigt mich noch mehr, als wir zur größten und schönsten Mall (in neokolonialister Architektur), in der ich jemals war, fahren und dort eine Viertelstunde (!) nach einem Parkplatz suchen. Ich glaube, Ecuador ist wirklich stark auf dem aufsteigenden Ast. Wie auch immer, wir kochen zusammen ein typisch ecuadorianisches Mittagessen, dessen Zutaten wir auf einem einheimischen Markt einkaufen. Normalerweise essen die Ecuadorianer die Suppe aus 12 verschieden Mais- und Getreidesorten nur in der Semana Santa. Ich fühle mich sehr geehrt, sie trotzdem probieren zu dürfen. Endlich verbringe ich Zeit mit einer richtig ecuadorianischen Familie, die bis auf die "Kinder" nur Spanisch spricht. Juan, der 25-jährige Sohn studiert im letzten Semester Medizin und möchte dann in der Psychatrie arbeiten, was ich wahnsinnig interessant finde. Wir stellen fest, dass wir die gleichen Sprachen lernen - Deutsch, Englisch, Spanisch und Chinesisch! ¡Que coincidencia! Sowieso fühle ich mich in der Familie pudelwohl und werde sie sicher noch mehrmals besuchen, nicht zuletzt um mit Juan und seinen Freunden endlich mal auf eine typisch ecuadorianische Party mit Salsa und Reggaeton zu gehen. Am liebsten würde ich ewig bleiben, auch wenn es langsam anstrengend wird, den ganzen Tag lang auf Spanisch zu kommunizieren. Aber das ist schließlich der beste Weg, eine Fremdsprache zu lernen! Als ich um halb neun nach Hause komme, ist bis auf Emilio, den jüngsten Sohn, Stine, Alex und Gabe niemand da. Es herrscht eine bedrückte Stimmung. Stine begrüßt mich im Flüsterton und informiert mich darüber, dass Rocios Vater gestorben ist und alle anderen im Krankenhaus sind. Wie seltsam, denke ich. Im Wohnzimmer hängt noch teilweise die Dekoration vom Kindergeburtstag und ich höre noch immer die ausgelassenen Kinderstimmen jauchzen. Und trotzdem wirkt alles auf einen Schlag so verändert. Emilio sitzt mit Alex auf der Treppe, trinkt ab und zu einen Schluck Cola und schluchzt. Ich setze mich kurz dazu, dann gehe ich an den Computer, um keinen allzu großen Rummel um das traurige Ereignis zu machen.
Ja, das Lebem ist wie eine endlose Reise voller positiver und negativer Erlebnisse, voller Menschen, die kommen und gehen. Doch Eines wird uns immer bleiben - unsere Erinnerung.
























Freitag, 12. Juli 2013

„Das Leben ist schwer - ein Grund mehr, es auf die leichte Schulter zu nehmen.“ - Emil Gött

Nachdem ich gestern Nachmittag einen halben Nervenzusammenbruch genommen habe, weil ich aus Versehen meinen Dschungel-Post gelöscht habe und nicht wiederherstellen konnte (was sagt uns das? - Tagebücher sind besser als Smartphones), komme ich endlich dazu, etwas Neues aus Quito zu schreiben.
Dienstagmorgen, 7:20 Uhr. Ich stehe an meiner Bushaltestelle, die lediglich durch die Straßenkreuzung als solche gekennzeichnet wird, und warte auf meinen Bus des Typs Paquisha, der nach Machala, also in den Norden Quitos, fährt. Feste Busfahrpläne gibt es hier nicht, bestimmte Busse kommen einfach im Minutentakt vorbei, andere lassen auf sich warten. Ob gerade der richtige Bus kommt erkennt man an diversen Aufklebern an der Windschutzscheibe (oben groß und breit der Typ des Busses und unten links in der Ecke diverse Fahrtziele, sodass im Prinzip fast die gesamte Scheibe zugeklebt ist). Heute habe ich Pech: Es kommen zwei Busse des Tipo San Carlos und viiiiiiiiiiiiieele des Tipo Catar, nach einer Viertelstunde kreuzt lediglich eine andere Deutsche auf, die auch im Krankenhaus arbeitet, nicht aber der richtige Bus. Johanna und ich warten eine weitere Viertelstunde, bis sich endlich zwei Paquisha-Busse der Haltestelle annähernd.... und trotz unseres Winkens vorbeifahren! Dann erzählt mir Johanna, dass ich theoretisch jeden Bus nach Machala nehmen könnte - auch die San Carlos Busse. Toll. Wir stehen noch fast eine halbe Stunde, bis endlich ein Bus auftaucht, in den wir einsteigen. Ich sitze auf glühenden Kohlen, weil ich auf keinen Fall an meinem ersten Arbeitstag zu spät kommen möchte, was sich jetzt aber nicht mehr vermeiden lässt.
Letztendlich komme ich eine Viertelstunde zu spät im Büro der Supervision an, was augenscheinlich aber niemanden dort kümmert. Ich trage mich in die Anwesenheitsliste ein und werde dann zu meiner Station gebracht, der Medicina Interna Mujeres. Wie der Name schon sagt, gibt es tatsächlich zwei Stationen für Innere Medizin: Eine für weibliche und eine für männliche Patienten. Meine Station hat 25 Betten, die i.d.R. alle belegt sind. An meinem ersten Arbeitstag werde ich von Sandra, einer der Krankenschwestern, an die Hand genommen, um meine zukünftigen Aufgaben zu lernen: Betten neu beziehen, Tische putzen, Patientinnen zur Toilette und zurück bringen und Wattetupfer rollen. Besonders letzteres klingt nicht sonderlich spannend; an meinem zweiten Arbeitstag durfte ich mich geschlagene vier Stunden damit beschäftigen, diese Wattebällchen mithilfe von Holzstäbchen zu formen, bis mir die Finger wehtaten. Im Radio lief dabei permanent ein Religionssender mit entsprechender Musik und Segenswünschen, was meiner Aufgabe einen geradezu meditativen Touch gab. Ich tröstete mich damit, dass die Krankenschwestern, die normalerweise die Tupfer herstellen, jetzt mehr Zeit für die wichtigeren Aufgaben haben und ich daher schon eine Hilfe bin, auch wenn ich mir nicht so vorkomme. Nichtsdestotrotz sind mir die patientennahen Aufgaben lieber. Selbst das Putzen macht mehr Spaß, weil ich ständig von neugierigen Patienten angesprochen werde, wo ich denn herkomme und was ich hier so mache. Zwei meiner Patientinnen - Elsa und Liliana (s. Foto) - habe ich so sehr ins Herz geschlossen, dass wir heute e-Mail-Adressen und Telefonnummern ausgetauscht haben. Die Arbeit wird von Tag zu Tag besser, weil ich zum Einen besser verstehe, was die Krankenschwestern und Patienten von mir wollen (Englisch spricht hier eigentlich niemand) und weil man mir inzwischen schon verantwortungsvollere Aufgaben wie Fieber messen überträgt.  Zudem lerne ich langsam, mich nicht mehr typisch Deutsch darüber aufzuregen, wenn ich mal dank der verrückten Busse 10 Minuten zu spät bin, sondern entspanne mich so wie die Ecuadorianer. Das beste Beispiel für die hiesige Mentalität ist wohl die Emergencia, in der eine andere Freiwillige arbeitet: Während eine Reihe von Notfallpatienten darauf warten, aufgenommen zu werden, ist der zuständige Arzt die letzten beiden Tage erstmal mit Adina und einem großen Teller in die Eisdiele neben gegangen, um dem Team eine Stärkung zu bringen. Als die beiden mit dem Berg Eiscreme wieder an den wartenden Patienten vorbeiliefen sagte er heute witzelnd: "Und? Wer bietet mehr?"
Was makaber klingen mag, ist hier ein Stück weit Mentalität. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass es einem das Leben einfacher macht, selbst die schlimmsten Situationen mit Humor zu tragen. Obwohl ich heute ganztags gearbeitet habe (normalerweise kann ich mittags nach Hause), verging die Zeit also wie im Flug und ich freue mich jetzt schon auf Montag. Es ist einfach wahnsinnig schön zu sehen, wie sich die Patientinnen freuen, wenn man ihnen bei den Dingen hilft, die sie nicht mehr alleine können, obgleich ich fast nie verstehe, was sie mir sagen, weil die meisten von ihnen kaum noch Zähne haben.
Auf dem Heimweg sitze ich i.d.R doppelt so lange im Bus wie morgens, da ständig Fahrgäste, Straßenmusikanten und fliegende Händler zusteigen (ganz gleich ob an "Haltestellen" oder nicht!). Letztere preisen so überzeugend Stifte, Kochzeitschriften, Süßigkeiten oder anderen Kram, den man eigentlich nicht braucht, an, dass sich immer eine Menge Käufer finden. Wenigstens brausen die Busfahrer dann aber nicht über schon längst rote Ampeln oder überholen halsbrecherisch auf der falschen Seite, was morgens Gang und Gebe ist... Andere Länder, andere Sitten! 



Einfahrt des Hospital Pablo Arturo Suarez

Elsa, Lili und ich

Quito at night 1

Quito at night 2

Quito at night 3

Quito at night 4

Quito at night 5

Quito at night 6