Dienstag, 8. Oktober 2013

"Glück ist das Zusammentreffen von Phantasie und Wirklichkeit" - Alexander Mitscherlich


Über den 10. August

Als ich mal wieder mit dem Shuttle-Bus zum neuen Flughafen Quitos sitze, wird mir auf einmal ganz anders. Nicht, dass es mir physisch schlecht ginge. Vielmehr katapultiert mich die Situation an sich in Kombination mit den vielen Gefühlen, unglaublichen Erlebnissen und der fast durchgemachten Nacht in ein weiteres Dauer-Déjà vu.
Jemand hat einmal gesagt, Glück sei das Zusammentreffen von Realität und Phantasie und genauso habe ich die letzten Wochen empfunden. Und jetzt soll ich auf einmal weg hier...
Ein Tag in Quito bleibt mir zum Glück noch und doch ist es nicht Dasselbe. Wenigstens ist Marvin nach dem langen Flug ähnlich müde und scheint nicht zu merken, wie durcheinander ich gerade bin. In der Gastfamilie – bzw. im Haus der Gastfamilie, da die Familie vorgestern in den Urlaub an die Küste gefahren ist – machen wir uns kurz frisch und fahren dann ins Centro Histórico zum Abendessen. Schon der Bus ist so überfüllt, dass wir uns nur mit Mühe zur Tür rein quetschen. Die Menschenmengen in der Altstadt überbieten dann alles, was ich hier bisher gesehen habe. Kolonialistisch verkleidete Schausteller laufen über den Hauptplatz, auf dem zwei große Bühnen aufgebaut sind, es gibt eine Lasershow und in den alten Gassen zeigen Kleinkünstler und Artisten ihr Können. Erst nach einigem Überlegen fällt mir wieder ein, dass heute ja der 10. August ist – der Unabhängigkeitstag Ecuadors.
Marvin und ich teilen uns eine Empanada de Viento, eine meiner Lieblingsspeisen hier, um den ersten Hunger zu stillen und setzen uns wenig später in ein typisch ecuadorianisches Restaurant in la Ronda, wo wir Llapingachos mit Chorizos (herzhafte Kartoffelpuffer mit gebratenen Würstchen) essen und Naranjilla-Saft trinken. Da uns das Essen noch mehr Bettschwere gibt, beschließen wir, direkt danach wieder nach Hause zu fahren und uns erst mal auszuschlafen.


Über den 11. August

Nach dem besten Frühstück, das ich in meiner gesamten Zeit in Ecuador dank meine Gastoma hatte fahren wir wieder in die Altstadt, wo wir durch ein paar Kirchen laufen,  an einem Straßenstand bunte Schnürsenkel für meine weißen Stoffschuhe kaufen und schließlich eine Stadtrundfahrt machen. Bereits vormittags um elf knallt die Sonne unbarmherzig vom Himmel, weshalb wir uns Jacken und Schals um den Kopf binden, um auf dem Sonnendeck des Doppeldeckers keinen Sonnenstich zu bekommen.
Auch heute ist in der Altstadt verhältnismäßig viel los: Vor dem ehemaligen Kloster San Francisco ist eine Bühne mit riesiger bolivianischer Flagge aufgebaut und durch die Straßen zieht ein tanzender Festzug in bunten traditionellen Kostümen. Ich frage diverse Leute, was es denn zu Feiern gebe und alle antworten mir nur, es sei wegen des 10. Augusts. Auf meine Anmerkung, dass heute doch schon der 11. August sei, bekomme ich keine weitere Auskunft. Erst durch eine Rede, die auf der Bühne gehalten wird, erfahren wir, dass es wohl um die Unabhängigkeit Boliviens geht. Warum diese aber in Quito gefeiert wird, bekomme ich nicht raus. Wie auch immer, in Ecuador finden sich ständig Anlässe für große Feste, denn gefeiert wird hier sehr gern und ausgiebig.

Während der Stadtrundfahrt stelle ich fest, wie viele Dinge es hier gibt, die ich noch sehen oder tun wollte, aber nicht mehr geschafft habe. Umso schwerer fällt es, nachmittags meinen Rucksack wieder zu packen und Abschied zu nehmen. Alles ist auf einmal so anders! Das Haus, das schon mein neues Zuhause geworden war, fühlt sich wieder so fremd an, so leer. Und ich selbst fühle mich auch nicht mehr hundertprozentig wohl in meiner Haut. Wahrscheinlich ist es gut, dass wir jetzt weiterfahren. Hoffentlich.
Als wir nach Sonnenuntergang mit unseren vollbepackten Rucksäcken losziehen, sind ist der Himmel in ein dunkles Blaugrau getüncht und die Berge sind mystisch mit Wolken verhangen. Wir steigen in das erstbeste Taxi und sagen dem Fahrer, dass wir zur Busstation von Reina del Camino wollen. Wir kommen dort fast eine Stunde zu früh an, aber wenigstens hängen Fernseher im Warteraum, die uns die Zeit ein wenig verkürzen. Abgesehen von uns befinden sich dort noch etwa 15 andere Passagiere, was ich in Anbetracht der Uhrzeit nicht weiter ungewöhnlich finde. Als sich allerdings zehn Minuten vor Abfahrt des Busses absolut nichts tut, werde ich doch ein bisschen stutzig und frage eine Kartenverkäuferin, welcher Bus denn unser Bus nach Puerto Lopez sei. Daraufhin schaut sie mich nur etwas irritiert an und sagt, dass es hier keine Busse nach Puerto Lopez gebe und wir offenbar beim falschen Busunternehmen gelandet seien, denn Reina del Camino sei ganz woanders. Wir bedanken uns schnell und rennen mit unseren schweren Rucksäcken nach draußen und halten ein Taxi an. Wir sagen dem Fahrer dass wir so schnell wie möglich zu Reina del Camino müssen, was sich Taxifahrer offensichtlich zu Herzen nimmt: Er prescht mit 60 km/h durch 30iger-Zonen, hält nie an Kreuzungen an, sondern hupt einfach nur unter dem Motto „Wer lauter hupt, gewinnt“ und setzt uns innerhalb von fünf Minuten vor dem richtigen Bus wieder ab, vor dem sich bereits eine Traube wartender Touristen gebildet hat. Die Ursache dessen ist, dass der Bus komplett überbucht ist und deshalb niemand den gebuchten Sitzplatz erhält. Nach einer halben Stunde voller Diskussionen und Sitzplatztausche scheinen alle halbwegs zufrieden zu sein und der Bus kann endlich losfahren.




Auf dem Panecillo


La Basílica del Voto Nacional







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