Mittwoch, 28. August 2013

„Niemals geht man so ganz,/ irgendwas von mir bleibt hier./ Es hat seinen Platz -/ immer bei dir.“ - Trude Herr

Nachdem ich an meinem letzten Dienstagabend in Quito fast bis Mitternacht mit den Chilenen auf einem Hippie-Fest mit Lagerfeuer und Cumbia, einem hierzulande typischen Tanz zu selbst improvisierter Musik war, bei dem ich mir eher ein bisschen vorkam wie ein wild hüpfender Rumpelstilzchenverschnitt, war, bin ich Mittwoch bei der Arbeit so ziemlich unbrauchbar. Die Ursache ist jedoch weniger meine Müdigkeit, als die Tatsache, dass heute mein letzter Arbeitstag ist. Ich stehe die ganze Zeit neben mir. Ich kann nicht fassen, wie schnell meine inzwischen sechs Wochen in Quito vergangen sind. Urplötzlich heißt es Abschied nehmen, doch die Menschen,  die ich hier in der Medicina Interna am liebsten gewonnen habe, arbeiten heute Vormittag nicht einmal und meine Lieblingspatientinnen sind entlassen worden. So fällt der Abschied wenig emotional aus - wie jeden Tag sage ich einfach "chau" und gehe, aber diesmal, ohne mich noch einmal umzudrehen, denn das würde mich einfach zu traurig machen. Als ich die Treppe hinunter gehe, frage ich mich, ob ich jemals in dieses Krankenhaus zurückkehren werde und wie sehr es sich dann verändert haben wird. In erster Linie wird wohl das Gebäude das selbe bleiben. Doch die Menschen, die in ihm arbeiten und genesen, kommen und gehen tagein, tagaus. Es wird nicht annähernd so sein, wie es jetzt ist, denke ich. Und diese Erkenntnis macht den Abschied deutlich leichter, als ich ihn mir vorgestellt habe.
Viel schwerer fällt es mir, Quito und all meine neue Freunde hier zurückzulassen. Und vor allem: Aus Quito zu gehen bedeutet auch, Abschied von meiner neu gewonnenen Freiheit und Unabhängigkeit zu nehmen. Denn am Samstag fliegt Marvin hierher, um mich die folgenden sechs Wochen durch Ecuador und Peru zu begleiten. Seine Erwartungen an die Reise und an mich setzen mich schon im Voraus unter Druck, denn ich möchte nicht wieder aufgeben müssen, tun und lassen zu können, wonach mir ist. Entsprechend schlecht geht es mir die nächsten zwei Tage. Als Alex und ich am Donnerstag, seinem letzten Tag in der Gastfamilie, gemeinsam kochen, ist meine Stimmung am Tiefpunkt angelangt. Denn Alex ist einer der neuen Menschen in meinem Leben, die ich besonders gern habe, und gleichzeitig ist er mit mir zusammen der letzte Volunteer, der noch hier wohnt. Heute fließen meine Tränen ganz ohne geschnittene Zwiebeln und auch Alex sieht sehr traurig aus. Der Himmel weint ebenfalls - eine Seltenheit zu dieser Jahreszeit in Quito - und schließlich gewittert es sogar. Doch Unwetter und Tränen haben etwas Heilendes an sich: Zwar bleibt nach den meisten Stürmen Zerstörung, doch eröffnen sich auch Chancen, schon zuvor längst baufällig Gewesenes zu renovieren. Obwohl ich mich morgens noch nicht so gut fühle, beschließe ich also, meine schon fast überfälligen Erledigungen zu machen - ich gehe zur Post und schicke ein 4-Kilo-Paket nach Hause, hole meinen Schlüsselpfand aus der Sprachschule wieder ab und kaufe Busfahrkarten nach Puerto Lopez. Zufällig komme ich noch kurz ins Fernsehen, weil ein Journalist Touristen auf der Plaza Foch über Ecuador interviewen möchte. Dann verabrede ich mich mit Luis und seinen Freunden für heute Abend zum Tanzen, worauf ich mich schon jetzt total freue.
Spätestens ab dem Medizinkurs mit einem kolumbianischen Arzt wird der Rest des Tages zu einem vollen Erfolg. Es macht einfach Spaß, an Hähnchenschenkeln nähen zu üben, und ich freue mich unglaublich darauf, bald sehr viel mehr über Medizin zu lernen. Abends ziehe ich eines meiner schönen Kolumbien-Kleider an und treffe mich mit Luis und seinen Freunden gegen neun in einem Restaurant. Auf dem Weg dorthin höre ich ein paar Feuerwerkskörper explodieren und sehe, wie die Sterne einiger bunter Raketen vom Himmel regnen. Ich beschließe, den letzten Abend meines neuen Lebens in Quito zu einem der schönsten überhaupt zu machen. Luis' Freunde sind mir auf Anhieb sympathisch. Drei von ihnen sind Amerikaner und arbeiten ebenfalls als Volunteers, allerdings nicht in Quito. Nach dem Essen und leckeren Brombeer-Mojitos fahren wir in eine Salsa-Tanzbar in einem anderen Stadtteil. Bis halb eins komme ich gar nicht mehr von der Tanzfläche, weil ich ständig zum Tanzen aufgefordert werde. Viele Latinos scheinen schon zu tanzen, bevor sie laufen können, und so werde ich gekonnt in Fallfiguren geführt und über die Tanzfläche gewirbelt ohne so recht zu wissen, was mit mir geschieht. Ich fühle mich ein bisschen wie Baby in Dirty Dancing, nur eben auf Ecuadorianisch. 
Da nicht alle die ganze Nacht nur Salsa tanzen wollen, fahren wir um eins zurück in die Mariscal, wo wir zusammen Wasserpfeife rauchen und noch mehr Mojito trinken gehen. Obwohl ich schon recht angeheitert bin, führe ich noch ziemlich tiefgründige Gespräche mit Mia (einer der Amerikanerinnen). Nach Hause komme ich erst gegen drei. Ich bin so glücklich und aufgeregt, dass ich fast nicht einschlafen kann...
Auch wenn es wehtut, Quito und all die wunderbaren Menschen, die ich hier kennengelernt habe, hinter mir zu lassen, gehe ich mit sehr vielen glücklichen Erinnerungen im Herzen. Ich habe hier eine ganz besondere Zeit verlebt - es war sicher eine der schönsten meines Lebens. Ein Teil von mir wird daher immer hier bleiben. Denn hier habe ich es zum ersten Mal wirklich geschafft, das Leben zu genießen, ohne es hinterher wieder zu bereuen. Ich habe das erste Mal richtig loslassen können. Ohne groß nach etwas zu suchen, habe ich sehr viel weiter zu mir selbst gefunden und bin vielen inspirierenden, besonderen Menschen über den Weg gelaufen.
Danke an alle, die mir dies ermöglicht haben!

 

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